Freitag, 26. März 2021

Hurra, ich werde geimpft!

Mein Termin 12. März 2021 im Rheinstadion

Das Taxi ist schon da. Schnell noch einen Schluck für die Reise. „Ohrstöpsel nicht vergessen!" ruft meine Frau. „Wieso“, frage ich, „seit wann braucht man zum Impfen ein Hörgerät?". Egal, die zwei Brillen sind schon an. "Die Maske!" Die Stimme meiner Frau wird härter.

Der Taxifahrer war enttäuscht. Er war eine Viertelstunde zu früh gekommen, um alles vorzubereiten. Nun kommt da einer nur mit Stock. All die Mühe umsonst.
Egal! Das Großraumtaxi hat Platz für 2 Rollstühle. Für Beifahrer gibt es kleine Stühle an der Wand. Ich bin Beifahrer, Jahrgang 1935, ein Halbinvalide, ein Fast-Rolli. "Ich befestige Sie“, ruft der Fahrer und legt den Spezial-Gurt an. Meine Frau steigt dazu. "Ich habe gelüftet. Sie sind glasisoliert, brauchen keine Maske, nicht erschrecken! Ich starte das Mikrofon."
"Vorsicht, Stöpsel verloren, da liegen 2000 Euro am Boden", sage ich. Maske angelegt, die Ohren knacken, zwei Brillen, das führt zum Konflikt, die Maske gibt den Rest.
Das Großraum-Auto hat viel gekostet, es ist ein neuer Taxiverleih. Er hat gut zu tun, im Gegensatz zum normalen Taxiverkehr.

Kunst oder Gestank?

Wir fahren von Hamm eine gerade Strecke, immer den Rhein hinunter, Richtung Rotterdam, also Rotterdamer Straße, was sonst. Als man sie 1915 so nannte, hatte die Stadt gerade die verschuldeten 6 Stockumer Höfe gekauft. Karl Wach baute die "Neue Kunstakademie" neben die alte Treidelstation Schnellenburg. Alle Wege führten im schrägen Winkel zum Nordfriedhof.
Ins Grenzgelände (Stockum, Wersten) kamen vor 1909 zunächst zwei unliebsame Einrichtungen: die Städtische Reinigungsanlage (zwei Schiffe mit den Namen „Parfüm 1“ und „Parfüm 2“) und am Ende des Stockumer Kirchwegs: die "Cadaver-Vernichtungs-Anstalt" an der Piwipp, am Grenzgraben Vogelsanger Weg.

1925 (die Franzosen waren gerade weg) planten Ärzte die GESOLEI (Gesundheit Soziales Leibesübung) und Hindenburg weihte "Am Staad" das Rheinstadion ein. Man feierte 1000 Jahre " Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation". Das gefiel den völkischen Reaktionären.

Die Kunstakademie an der Schnellenburg neben dem Gestank, das ging nicht gut. Den Nazis machte das nichts aus. Die Messe "Schaffendes Volk" wird ihr Prestige-Objekt 1937 mit Fahnenallee zum Hauptgebäude und Sichtachse zum pompösen Schlageter-Monument auf der Golzheimer Heide. Wir passieren das berüchtigte Kriegerdenkmal am Reeser Platz und die ehemalige Nazisiedlung „Schaffendes Volk“.

Nun aber kein Gestank mehr: das Wasserwerk AM STAAD entsteht

Wir biegen rechts ab zur Arena. Das Rheinstadion war früher unser Traum. Im Schwimmbad daneben lagen die schönsten Frauen Düsseldorfs auf den berühmten steinernen Terrassen.
1971 beginnt die Messe und Tamms baut das Stadion um. Fußball Weltmeisterschaft 1974 2:0 gegen Jugoslawien, 4:2 gegen Schweden, Europameisterschaft 1988 Deutschland Italien 1:1; neues Stadion 2004, aber Fortuna sitzt ganz tief im Keller und erreicht nur mit Ach und Krach die 2. Liga.

Düsseldorf besitzt mehrere Arenen, aber es fehlen die Artisten

2012 OB Erwin träumt von Olympia und scheitert. Dafür kann OB Geisel die Tour de France nach Düsseldorf holen: am 1.7.2017 blickt die Sportwelt auf die Messe, den Rhein und die schönen Gebäude der Innenstadt.
Erst heißt es LTU-ARENA, weil der Sponsor aus Düsseldorf kommt, dann ESPRIT, weil das Hippiepärchen Susie und Douglas Tompkins 1968 in San Franzisco selbst genähte Blusen verkauft und ihre deutsche Tochterfirma ESPRIT in Düsseldorf gründet. Der Reigen geht weiter: 2018 MERKUR-SPIEL-ARENA, Heimstatt des bekanntesten Düsseldorfer Fußballvereins, benannt nach der Glücksgöttin Fortuna, genau der richtige Name für ein Impfzentrum.

Wir sind da: das Spiel kann beginnen

Beim Aussteigen klemmt die Tür. "Moment, ich zünde noch einmal"; im Cockpit 20 Knöpfe; "Moment, falscher Knopf". Erst mit der Fensterscheibe funktioniert es, der uralte Trick: von außen die Innentür öffnen.
8 Uhr 40 "Ich binde Sie los. Warten Sie genau hier."
Ich sitze in der Schminkkabine von Madonna, vielleicht wäre auch Lena möglich, der große Paul oder die Rolling Stones? 30 Schalter und Impfkabinen

Über 7 Unterschriften musst du gehen

Insgesamt (einschl. Impfpass) sind 7 Unterschriften notwendig, auch Stempel muss sein.
Am schönsten: der alte Mann, der mich impfte, war älter als ich; sagte kein Wort, war aber blitzschnell. Ich wusste am Ende gar nicht, ob ich geimpft worden war, weil ich wieder die Stöpsel verloren hatte. Hinter der Kabine ein Stuhl. Meine Frau- in der Aufregung eine Zigarette- war irgendwie rausgekommen und hämmerte jetzt an der Glastür hinter mir. Security Leute liefen herbei, in lila und rot waren freundlich und nett, doch die Tür ließ sich nicht öffnen.

Wir gingen schließlich beide nach Hause. Unterwegs eine Wartehalle mit 15 Menschen, aufgereiht im 3m Abstand. Schweigend, die Augen auf den Rhein gerichtet.
Wie die Trappistenmönche vom linksrheinischen Mönchenwerth, dachte ich, die genau an dieser Stelle rübergingen in ein neues Leben. Der Kurfürst Jan Wellem half ihnen, denn er hatte hier eine neue Fähre gebaut.
"Keine Angst", rief der Taxifahrer", die Tür ist ok!" Nein, ich hatte keine Angst. Eine wilde Freude stieg in mir auf.

"Hurra, ich bin geimpft!"

Autor: Dieter Jaeger  /  Redaktion: Bruno Reble  /  © 2021 Geschichtswerkstatt Düsseldorf