Samstag, 22. April 2023

Der Hafen - eine Brise von Weite und Abenteuer?

Schiffe sind Weltfahrende: wir stehen bei ihnen und fahren hinaus. Unser Schiff hier im Alten Hafen von Düsseldorf fährt nirgendwo hin. Es vermodert, versinkt, verschwindet. Aber nur einen Meter tief in diese schmutzige Hafenpfütze bis zum Dach des Parkhauses darunter.

Dieses Schiff ist das Totenschiff des Weltfahrers Heinrich Heine. Bei seiner 200sten Geburtstagsfeier im Jahre 1997 endet hier die gewaltige Show. Dichter, Sänger, Akrobaten hatten ein Netz über die Altstadt gespannt, um von oben die himmlischen Worte des Dichters zu senden.

Das Schiff wird zur "Matratzengruft" in Anspielung an Heines Ende in Paris an der Rue de Matignon neben dem Prachtboulevard „Champs Elysées“. Er hatte es von dort nicht weit bis zum Himmel.

Aalschokker als Wahrzeichen

Der armselige Schokker hier in Düsseldorf führt den Dichter zurück zu seiner Geburt. Der Rhein wird zum Lethefluss in eine andere Welt. Bei aller Erbärmlichkeit in diesem erbärmlichen Hafen bleibt das Boot für immer verbunden mit Heinrich Heine.

1996 springt ein junger Mann in die Baugrube und gründet den Verein "Rettet den Hafen".
Wir retten ja ständig etwas, aber geht es auch anders?

Statt teurer Immobilien kommt es am Ende zum Kompromiss: oben der Hafen, unten ein riesiges Parkhaus. Der Hafen wird ein Flop, trotz aller Romantik und trotz der Nähe zum Uerige. Die Läden vergammeln, das Ganz wird zum Penner- und Drogentreff. Aber der Hafen lohnt den historischen Rückblick, denn seine Form ist genau die des Ursprungs: Lageplan bei GOOGLE MAPS

Ein reicher Herzog macht den Anfang

1540 hatte Wilhelm der Reiche eine Zitadelle als Rückzugsort in kriegerischen Zeiten geplant. Denn die Zeiten sind alles andere als friedlich. Der Truchsessische-Krieg (1583-88) wogt auch durch das Rheinland. Und im Kampf um Geldern hatte Wilhelm sich mit einem Mächtigen angelegt, dem Kaiser.

Ein Nachfolger Wolfgang Wilhelm vollendet dann um 1620 Zitadelle und Hafen. Citadellstraße, Schulstraße und Hafenstraße entstehen. 1628 wird das "Schiffchen" gegründet. Die Düssel treibt nebenan die "Hofmühle" an. Ihr Nordarm im Mündungsdelta wird zum Hafen ausgebaggert.

Ein vorgelagertes Bollwerk entsteht. Die vier Ecken der Zitadelle bekommen 3 Bastionen. Der Adel zieht vom Norden (Ritterstraße) in den Hafen (Leerodt, Nesselrode, Diemantstein, Hompesch, Vellbrück). Aber sie zahlen, anders als die Kirche, wenigstens Steuern.

Ein Sicherheitshafen entsteht

Der Hafen war, wie alle Häfen hier am Rhein, ein rückwärts eingeschnittener Sicherheitshafen. Die Fluten des Rheins flossen an ihm vorbei, nicht hinein. Der Hafenbetrieb geschah am offenen Fluss, an der WERFT. Hier stand auch der bewunderte große Kran (1598-1863).

1814 schüttete man den Hafen zu, weil der neue Napoleonische Sicherheitshafen entstand (heute Wiese vor Kunstakademie). Nach der Zuschüttung wird der Gesamtraum zwischen Akademie-/ Schul- und Dammstraße zum Gefängnis, zum "Kaschott". An der Dammstraße sieht man bis 1986 anhand der Bordsteinkante den Eingang.

Der Aalschockker ist tot, es lebe der Aalschokker?

Eher nicht. Aber die Fischer-Zeit war grandios. Neben dem Aalfang gab es andere Wanderfische, z.B. den "Maifisch", eine Heringsart. Sie waren die Backfische der Fische, junge Lolitas, die man, weil zu jung, über „back“ zurückwarf oder in die Hammer Kappesfelder eindüngte. Zu jung, aber zart genug zum Backen, ein Leckerbissen seit 100 Jahren zum Bierchen in Düsseldorf. Die Heringsart, die im Mai zum Laichen den Rhein hinaufschwamm, wurde hier in Mengen gefangen. Maifischmärkte und Backfischessen waren die große Sause im Düsseldorf des ausgehenden 19ten Jahrhunderts.

Fischereirechte waren in Händen der Obrigkeit. Die Herren von Eller befischten den Schwarzbach, die Herren von Hardenberg die Anger. Die von Einenburg oder Landskron die Düssel. Man verkaufte die Rechte aber auch an die Bürgerschaft. Die Hammer "Raubfischer" drangen ins Kurkölnische vor. Sie behaupteten, der Rhein gehöre bis "einige Schritte vom Ufer" zu Düsseldorf.

Standfische, die das ganze Jahr den Rhein bevölkerten, waren Karpfen, Hecht und Barben. Wanderfische waren Aal, Stör, Lachs und Maifisch. Der Salm, wie wir holländisch für Lachs sagen, war der Brotfisch der Düsseldorfer, erst später der robustere Aal. Salmwippe und Aalschokker gehörten zum Düsseldorfer Stadtbild.

Die Dynastie Maassen fischte im Hammer Bereich. 30 Männer waren mit dem Fang beschäftigt, 40 weitere im Handel. In der Bergerstraße bot man russischen Kaviar und englische Austern. Sechs Männer bildeten den ersten "Plog" von Mitternacht bis Dämmerung, dann kam der zweite.

Carl, der erste Maassen, kam nach den napoleonischen Befreiungskriegen mit einer hübschen Jacqueline aus Paris nach Düsseldorf. Carl der zweite wurde Lebensretter, Carl der fünfte mit zu viel "savoir vivre" im Blut musste alles verkaufen. Sein Name auf der Bergerstraße wurde getilgt.

Spaziergang durch die Kriminal-Geschichte

Wir stehen an der Gruselecke Schulstraße 3, wo einst die Schülerbande "Das Rote U" Verbrecher jagte: von der Citadellstraße in die "Villa Jück". Wie still es hier ist.

Das war nicht immer so: 1854 zählte man an der Schulstraße an einem einzigen Sommermorgen: 8 Postwagen, 13 Droschken, 86 große Karren, 223 Hundekarren. Ein Lehrer wurde beurlaubt, weil es ihm laut ärztlicher Anweisung untersagt wurde, "sich den Anstrengungen zu unterziehen, welche das stete Geräusch auf der Straße notwendig macht". Armer Lehrer!

Im "Schiffchen" wird es schon lauter

Wir befinden uns in der Hafenstraße und schließen die Augen. Karl Blume, der Komponist aller Löns-Lieder, sang hier 1915 bei einem Fronturlaub zum ersten Mal "Grün ist die Heide".

Und schönste Erinnerungen an den Vater des Autors werden wach. Es sind die Löns-Lieder vom Jäger-Vater am Klavier mit Laura seiner Frau, die er immer Lore nannte. Er konnte eigentlich nicht singen. Das hier war die Ausnahme.

Mit Inbrunst und geschlossenen Augen sang er dann zusammen mit seiner Lore:

"Horch, wie der Tauber ruft, o Du Du Du,

und seine Taube hört ihm zu zu zu.

Was wohl die Tauben tun, o Du Du du,

wozu sind wir im Maien, wozu wozu?"

 

Autor: Dieter Jaeger  /  Redaktion: Bruno Reble  © Geschichtswerkstatt Düsseldorf 2023