Eigentlich
wollte ich nur einen Kaffee trinken. Ich fuhr mit dem Auto in die Stadt und mir
kam der Western der Brüder Coen in den Sinn: 4 Oscars, ein radikaler Film über
die Machtlosigkeit des Guten. Am Ende sind alle tot und der überlebende alte
zerknitterte Sheriff Tommy Lee Jones seufzt: "Kein Platz zum Leben
hier"
No country for old men
Daran musste
ich denken, als ich nach dreimonatiger Pause meine alten Lieblinge um das Carschhaus
wiedersehen wollte.
Im Grunde wollte
ich nur einen Kaffee trinken. Hinein in das Parkhaus Grabenstraße kam ich
sofort, die Preise waren auch sofort klar! Hinaus wurde schwierig. Man wäre
vielleicht besser im Auto sitzen geblieben.
Am Aufzug war eine
Tafel: "Wegen Hochwasser
geschlossen" Ich
stutzte: Hochwasser in der Grabenstraße, 1890 vielleicht, aber heute? Nun ja,
Corona.
Ich zog mich
am Geländer der Treppe zum Eingang hoch. Noch eine Tafel: "Benutzen Sie bitte Eingang Flingerstraße", ein bisschen weit weg, dachte ich, nun
ja, Corona.
Mein Ziel: der
Innenhof des Wilhelm-Marx-Hauses, das Stadtbrückchen, wo sich mehrere Cafés
angesiedelt haben. Ich zog mich 2 Treppen hoch zur Straße. Eine Ampel taucht
auf: "Stadtbrücke", also quasi das große
Stadtbrückchen. Nun ja, Corona macht vieles mächtiger.
Gefangen in einem Irrgarten
Ein Schild: „Flingerstraße“;
runter in den Abgrund am Gummigeländer mit Handschuhen und tatsächlich ein
Eingang: Verwirrend viel Haushaltsgeräte und Postkarten, ein Labyrinth. Ich
verirre mich. Heute ist vieles anders als früher. Zurück? Nein, ich sehe die
rettende Champagnerbar; jetzt links.
Der fröhliche
Fischmann: "Kennen Sie Louis Armstrong?"(Louis sang im Hintergrund) -
"Nun ja, eigentlich schon!" - "Was soll’s sein? Viel Senfsauce
zum Fisch und eine Suppe?" -"Nein, eher Sauce!" Ich kämpfe mit
Messer und Gabel gegen die Sauce und bin ganz allein, ein Einzelkämpfer. "Ich
bring einen Löffel!" Aber es war schon zu spät. Corona halt.
Am Ziel: die
italienische Café Bar in Plexiglas. Die bekümmerte Frau: "Corona?" „Nein“,
schrei ich „nein, nein, nein!“
Dann sagt sie
ein Wort, süß wie Sahne, beseligend und schön: "Ti-ra-mi-su".
Eigentlich wollte ich nur einen Kaffee trinken.
Eigentlich wollte ich nur einen Kaffee trinken.
Autor: Dieter
Jaeger /
Redaktion: Bruno Reble / © Geschichtswerkstatt Düsseldorf 2020
Anmerkung aus der Redaktion: Neben „No country for old men“ werden Erinnerungen wach an den Film „Taxi Driver“ aus dem Jahr 1976. Auch hier geht es um die Verirrungen der Großstadt. In der letzten Einstellung vor dem Abspann blickt der Taxi-Fahrer irritiert in den Rückspiegel. Warum wundert er sich? Vielleicht, weil er einen fast 90jährigen erblickt, der partout mit dem eigenen Auto nach New York einfahren will, statt dafür ein Taxi zu nehmen?