Sonntag, 28. August 2022

Spekulation im Glasmacherviertel und kein Ende?

 Das Erbe der größten Flaschenfabrik der Welt

Ein einsamer Glasturm, zwei Bauruinen, Wasserlachen, Wüste. So stellt sich heute das Gelände dar: ein Symbol verkorkster Bodenpolitik und gieriger Wohnungsspekulation. Das ist jetzt über 10 Jahre her.

2005 schloss die Gerresheimer Glashütte. Ein Karussell verschiedener Investoren folgte: Patrizia, Brack, Adler, LEG. Die Devise hieß:

„Kaufen, verkaufen, gewinnen“

Enorme Summen liefen über den Tisch: 30 Millionen, 120 Millionen, 375 Millionen. Der Wohnungsbau trat in den Hintergrund. Mittlerweile gibt es Krieg zwischen den Baulöwen: Perring contra Adler. Der letzte Coup brachte einen Verkaufserlös von 195 Millionen und schaukelte den Wert der Immobilie auf 375 Millionen. Die Grunderwerbssteuer von 20 Millionen für das Land wurde perfide umgangen. "Share Deal" heißt das Konstrukt. Dabei wird das Grundstück selbst nicht verkauft, sondern nur die Firma, der das Grundstück gehört.

Der Multi Adler rudert jetzt zurück und bringt die Adler Tochter LEG ins Spiel. Das Grundstück soll zweigeteilt werden, mit dem ersten Teil, dem "Heyhe-Quartier", soll es losgehen.

Bleibt es bei "preisgedämpften" Wohnungen? 1700 insgesamt? Was ist mit Kitas? Werden die versprochenen Grünflächen umgesetzt? Behält man die drei Industriedenkmäler: Turm, Zentrale, Maschinenhaus?

Die Stadt wurde betrogen, sie sollte eingreifen!

Werfen wir einen Blick in die Geschichte: Napoleon förderte 1795 das Konservieren von Lebensmitteln durch Einkochen. Johann Carl Weck, ein Unternehmer aus Süddeutschland, kaufte 1895 das Patent zum Einmachen mit dem Gummiring und entwickelte das nach ihm benannte Weck Glas.

Aber produziert wurden die Weckgläser meistens in Gerresheim mit dem Gerrix-Logo: ein G mit einer Krone. Als Ferdinand Heyhe 1864 als 25jähriger das Gelände bereiste, sah er nur das Düsselflüsschen, das hier den Berg herunter plätscherte, den Pillebach mit einem Fußweg, der zu einer kleinen Stadt hinaufführte, einen Steinbruch mit feinem Sand, aber vor allem sah er die Eisenbahn, die hier seit 1845 den Berg raufkraxelte und in die Welt fuhr. Das war es!

Mit 12 Glasmachern gründete er direkt neben dem wackeligen Bahnhof an der Westseite des Fußweges eine Glashütte. Er hatte sich von seinem Vater, dem Glasmacher Caspar Hermann Heyhe aus Bremen, sein Erbteil von 30 000 Taler auszahlen lassen.

Die uralte Kunst, Glas herzustellen und Hohlformen zu blasen, beherrschten besonders Handwerker in den Waldgebieten Ostdeutschlands und des Baltikums. Wie die Nomaden zogen sie umher, nicht ihrer Herde folgend, sondern dem neuen Wald, wenn der alte wegen des großen Bedarfs an Feuerung abgebrannt war.

Es war schwierig, diese Wanderer an einem Ort festzuhalten. Einmal da, blieben sie unter sich. Ihr "Hötter Platt" stammte aus dem Osten und hatte nichts mit rheinischen Dialekten zu tun. Heyhe gab ihnen direkt neben der Fabrik Wohnung, Garten, Stall, Räucherkammer und Backhaus. Die alte Methode des Schmelzens in "Hafenöfen" zwang zu Fabriknähe bei durchgehender Arbeitszeit von Tag und Nacht. Ein "Wecker" ging von Haus zu Haus, um den eingeteilten Bläser und nicht die ganze Straße zu wecken. Dunkelkammern ohne Fenster dienten zum Schlafen. Diese "Altstadt" wurde 1979 für einen Parkplatz abgerissen, die gegenüberliegende "Neustadt" von 1879 blieb erhalten. Die Siedlungen lagen im Sumpf der Düssel, im Torfbruch Bereich. Wegen des hohen Grundwasserstands mussten alle Eingänge hoch gelegt werden.

1881 entwickelte Siemens die "Wannenschmelze". Damit war das Ausgangsmaterial, die honigfarbene Schmelze, immer verfügbar. Heyhe teilte jetzt in drei Schichten ein: 4-12, 12-20, 20-4 Uhr und erfand als erster in Deutschland den 8 Stundentag. Die Hauptmahlzeiten (12 und 20 Uhr) konnten so im Kreis der Familie stattfinden.

Die Hütte nahm einen rasanten Aufstieg. 1902 pusteten (zusammen mit anderen Heyhe Werken) 5000 "Püster" 150 Millionen Flaschen.

Die größte Flaschenfabrik der Welt

1888 wurde eine sensationelle Innovation vorgestellt: statt Laternen eine riesige Bogenlampe: der "Lange Hermann".

1890 entstand die Siedlung "Nachtigall", auf der anderen Seite der Bahn die „Alte Insel", der „Höherhof" und 1900 die "Meistersiedlung“.

Die größte Herausforderung brachte 1901 die von Michael Josef Owens erfundene voll automatische Flaschenblasmaschine. Der Sohn Hermann Heyhe handelte sofort, kaufte das Patent, gründete eine AG. So konnte er das Unternehmen stufenmäßig auf Automatik umstellen und die drohende Arbeitslosigkeit abwenden.

Zwischen den Kriegen: die Hochsaison mit den "Gerrix-Gläsern", aber zwei Kriege. Die Umstellungen von Kohle auf Öl und Gas und die Plastikflaschen blieb nicht ohne Folgen. Gastarbeiter ließen in den 60 bis 70igern "Little Italy" entstehen. Die Firma ist ab 1985 abwechselnd in verschiedenen Händen, darunter die West LB; dann wieder zurück zu Owens / Illinois; 2005 ist endgültig Schluss.

Ob Heyhe ein „Wohltäter“ war, kann mit heutigen Maßstäben nicht gemessen, sondern muss aus der damaligen Zeit verstanden werden. Denn Heyhe war ein Patriarch. Sein Wille war Befehl. Wer nicht gehorchte, musste gehen.

Er hat viel für die evangelische Gemeinde im katholischen Gerresheim getan. Die Bläser aus dem Osten waren oft Protestanten. Er fördert Schule und Kirche. Das Ferdinandheim für Alte wird von Ehefrau Pauline gegründet. Heyhe stiftet den "Volkspark" mit Heyhebad und Musikpavillon. Ein zweiter Bahnhof, der Rheinische, wird gekauft und bildet später für die Italiener ein Kino.

In der Nazizeit wird das rote kommunistische Gerresheim brutal verfolgt. Der Bunker mit der Endzeit 1945 ist heute ein Wohnhaus - mit Sonnendach und energie-autark für 7 Etagen.

Triumphiert der Spekulationsteufel in Gerresheim?

Noch besteht Hoffnung, denn schon einmal war der Teufel im frommen Gerresheim besiegt worden.

Er schließt mit Gerricus, dem Gründer des Stifts und der Stadt eine Wette ab: Wer am weitesten vom Kirchendach springt, ist der Sieger. Ihm soll die Kirche gehören.

Der pechgetränkte Pferdefuß bleibt hängen und der „Schwarze“ platscht nur 10 Meter weit zu Boden.
Gerricus aber springt bis zum "Pütt" am Waldesrand. Der ist noch immer da.

Der Teufel hat verloren. Ob die Geschichte auch heute so ausgeht?

Das wünschen wir uns alle. Aber allein durch Wunschdenken ist noch nie etwas Brauchbares heraus gekommen und vor allem nicht für die „Kleinen Leute“.


Autor: Dieter Jaeger  Redaktion: Bruno Reble  © Geschichtswerkstatt Düsseldorf 2022