Samstag, 29. Oktober 2022

Lichter, Lampen und Laternen - zur Geschichte der Beleuchtung

"Die wirkliche Entdeckungsreise besteht nicht darin, neue Landschaften zu entdecken, sondern darin, altes mit neuen Augen zu sehen." Marcel Proust

Oktober 2022: das teure Gas! Pustet Putin die Laternen aus?

Es dauerte lange bis die Menschen das Feuer beherrschten. Erst in der letzten Sekunde des Erdalters beschäftigten sie sich mit dem Erdfeuer, das an einigen Stellen austrat und das sie Bitumen nannten von lateinisch "pix tumens" (= ausschwitzendes Pech).

Das Beleuchten der ersten englischen Werkshallen stand im Vordergrund. Dann sagte jemand "Gas" von griechisch chaos (wirre Luft) für Straßenbeleuchtung und damit war das Wort (ähnlich wie Taxi) schlagartig in allen Sprachen der Erde.

Erdgas verändert die Beleuchtung

Das 19. Jahrhundert wurde das "Gas-Jahrhundert". Riesige hässliche Gaswerke entstanden, der Gasbehälter, der Gasometer wird zum neuen Symbol der Stadt.

Unheilvoll empfanden die Menschen die Fremdsteuerung. Fremde konnten über das Licht in der Wohnung bestimmen. Sie wehrten sich: das Wohnzimmer (die "gute Stube") blieb außen vor, Korridore, Keller, Küchen schon eher.

Das vertraute Beisammensein am heimischen Herd wurde vermisst. Der Hausherr steckte den in Öl getränkten Kienspan an. Man erzählte sich Geschichten vor dem Schlaf.

Hunderte von Jahren ging das so. Tag und Nacht bestimmten das Leben. Wer nicht rechtzeitig durch das Stadttor kam, musste draußen kampieren in stockdunkler Nacht. Nachtwächter wurden nur engagiert, um vor Funkenflug zu warnen.

Mehr Laternen als in Paris

Jan Wellem rühmte sich, in seiner Stadt mehr Laternen zu haben als die Franzosen in Paris. Das war natürlich Prahlerei, in Paris gab es um 1700 etwa 5000, um 1800 etwa 8ooo Laternen.

In Düsseldorf waren es 380. Eins allerdings war einmalig. Jan Wellem ließ die Laternen ganzjährig brennen, Paris nur von November bis März. In Düsseldorf stand alle 20 Meter eine Laterne. Der Chef, Herr Sebus, befehligte fünf "Füller" und um das Schloss herum waren die Laternen vergoldet. Wie so vieles verschwanden nach Jan Wellem auch die Laternen.

Stockdunkel in der Stadt

Der Schriftsteller Theophile Gautier bei einer Hotelsuche bei Nacht (im frühen 19. Jahrhundert) "neben der Statue konnten wir einen fünf Fuß hohen Gegenstand ausmachen, im unteren Teil viereckig mit spitzer Kuppe, der sich wie der undeutliche Umriss eines Schilderhauses abzeichnete. Aber als wir uns näherten, sahen wir, dass das Schilderhaus ein preußischer Soldat in seinem Umhang war, den der blitzableitende Helm überragte".

Lavoisier hatte 1770 auf die Bedeutung des Sauerstoffs bei der Verbrennung hingewiesen. Seitdem verbesserten sich die Laternen. Francois Argand erfand 1783 den hohlen Docht zur besseren Luftzufuhr. Man konnte durch Heben oder Senken des Dochtes die Leuchtkraft verändern. 1773 wurde die Straßenlaterne erfunden, der Réverbère [ʀevɛʀbɛʀ], der das Ganze durch raffinierte Spiegelung noch einmal verstärkte. Jetzt genügten Laternen alle 60 m statt 20 vorher. Der Docht musste dauernd geputzt werden. Eine Kerze überdauerte 50mal "schneuzen". Goethe fand das alles scheußlich.

Das Volk hasste die Laternen, zerstörte sie. Die Laternen mussten immer höher gehängt werden, denn Dunkelheit hieß Schutz.

Der finstere Wald - ein Ort der Sicherheit

Louis XIV (Ludwig der 14te) hatte zur besseren Überwachung seiner Untertanen schnurgerade Boulevards, Neun-Zoll Pflastersteine und Laternen befohlen.

"Les aristocrates á la lanterne" sang das Volk 1789. Einen besseren Galgen für die Aristokraten gab es nicht.

Carl Theodor in Düsseldorf

1749 besuchte der pfalz-bayrische Kurfürst Carl Theodor seine Außenresidenz. Über den Straßen hingen Laternen und Sinnsprüche... "das Warten und das große Leid hat ein beglücktes End genommen, der Theodor ist angekommen."

Aber er blieb nicht, trotz extra errichtetem Balkon am Rathaus und Theater neben der Kanzlei. Vor Immermann war das Theater eher Belustigung als Erbauung. Die Moucheure (Kerzenanzünder) hatten ihren großen Auftritt. Es gab 1500 Einzelflammen.

Das gemeine Volk wurde im "parchetto", einer Art Park, von den erleuchteten Logen abgesondert. Jeder Schauspieler wollte vorne ins Licht ("Rampensau"). Nur dort gab es die meisten Leuchten, die die Akteure allerdings von unten bestrahlten und mit Schminke und Schweiß zu schrecklichen Fratzen führten. Im Olymp, hoch oben, fielen die Zuschauer bei 40° in Ohnmacht. Erst allmählich entstand durch zunehmende Verdunklung des Parketts der Zuschauerraum.

Anders als mit der Eisenbahn dauerte die Umstellung auf Gas in Düsseldorf sehr lange. London war 1815 großflächig mit Gas versorgt, 1820 ganz England. Hier hatte ja alles angefangen. 
 
Die Engländer destillierten Gas aus Holz und Kohle seit Beginn des 18. Jahrhunderts. Darby erfand mit Gasentzug den Koks, William Murdoch beleuchtete Werkshallen. Frankreich folgte in den 30iger Jahren. 

Die "Erleuchtung" folgt 100 Jahre nach der "Aufklärung"

Bei uns versuchte der Privatunternehmer Middendorf in kleinem Maß Gas herzustellen, zum Vergnügen der Jugend. Sie liefen hinter seinem leckenden Möbelwagen her: "Middendorf, Schittendorf". Er musste sein stinkendes Gewerbe "außerhalb der Stadt" betreiben, an der Canalstraße (Kö), das war damals "draußen". Schimmelbusch mit seiner Eisengießerei saß auch hier. Man konnte bei Middendorf Gas in kleinen Behältern aus Tierblasen oder Leder kaufen. Das ergab dann eine kleine Flamme wie bei einer Kerze. 1841 etablierte dann Sinzig in der Pfannenschoppenstraße schon eine kleine Fabrik. Er verbrannte Öle, Teere, Fette. Es stank zum Himmel. Nur den Mönchen und den Gymnasiasten zweiter Klasse, der Ober-Realschule (später Humboldt- und Scholl Gymnasium) war ein solcher Gestank zuzumuten. "Auch in der Schmiede wohnen Götter!" hatte der erste Direktor der neuen Schulart vergeblich gerufen.

Lehrer Czech benutzte morgens um 8 immer die Straßenmitte, weil er in der ohnehin verpesteten Straße nicht auch noch das Lüften der Betten ertragen wollte, das die Ehefrauen aus dem Fenster hinaus gerade um diese Uhrzeit veranstalteten.

Die erste Gasanstalt

1866 bekam Düsseldorf die erste städtische Gasanstalt genau an der Stelle, wo 1851 die Brüder Richard aus Brüssel mit ihrer Puddelfabrik das Zeitalter der Schwerindustrie eingeläutet hatten. Hier gab es nur die Ellerstraße, die früher zur Alexanderstraße führte, die man am späteren Mintropplatz zur Friedrichstadt umgeleitet hatte und die nun Luisenstraße hieß.

Hier wurde es sehr voll und bald schon musste man nach Flingern ausweichen. Flingern Süd hatte viele Eisenbahnen, aber keine Straßen.

Neben dem Weg durch den Wald nach Erkrath (Königsbergerstraße) gab es noch einen durchgehenden, halbwegs begehbaren Weg zum Höher Hof.

Licht und Wärme kommen aus Flingern

So hieß es später schmeichelhaft, aber der Mörder Peter Kürten kam auch daher. Die Flingeraner profitierten anfangs am wenigsten von ihrem Gaswerk.

Zurück in der Stadt war es immer ein großer Spaß, den betrunkenen Latänepitsch in die "Sööße Eck" zu schieben (Ritterstr 10). Die Kinder übernahmen dann das Regiment. Sie steckten Hunde und Katzen in den Glasbehälter und erfreuten sich am jaulenden Höllenlärm danach. 

1879 erfand Edison die Glühbirne. Damit begann eine neue Zeit. Aber noch bevor es richtig losging, machte die Bogenlampe 1870 von sich reden: ein Zwitter zwischen Gas und Elektrizität, eine Gasentladung zwischen zwei Dioden, die ein solch grelles Licht produzierte, das sie als Waffe in den Kolonialkriegen angewandt wurde.

Lichtschirme kamen auf, Gardinen schützten das Auge, gedimmte Tiffany Lampen wurden modern. Man wollte mit "Sonnentürmen" ganze Städte beleuchten, der Eifelturm hat hier seinen Ursprung.

"Allumeur des lanternes" hieß der Laternenanzünder im "Kleinen Prinz" von Saint Exupery. Er geht zugrunde, weil er sich nicht anpassen kann. Die Gaslaternen passten sich an (z.B. Glühstrumpf von Mannesmann) und überlebten bis heute. Die Gasbeleuchtung, die erste große künstliche Beleuchtung, änderte das Leben, machte die Nacht zum Tage, nicht nur günstig für Industriearbeit.

Die Elektrizität war die zweite Welle

Das Gas hatte den Docht abgeschafft. Die Elektrizität schaffte die Flamme ab.
New York bekam 1883 die erste Zentrale. Lenin sagte "Kommunismus ist Bolschewismus und Elektrizität".

Gewohnheiten und ihre Bezeichnungen änderten sich: dîner war eigentlich das Mittagessen, jetzt ersetzt durch déjeuner, das ja anfangs nur das nächtliche Fasten beendete. Begünstigt durch das Licht, aßen die Menschen immer später, je vornehmer umso später. 

Wolfgang Schievelbusch (von dessen Erkundschaften dieser Text mehrfach profitiert) hat das herausgefunden: dîner wird das Abendessen, dem ein zweites (souper) nach dem Theaterbesuch folgt. Die Arbeiter aßen um 12, die Handwerker um 2, die Kaufleute um 3, die Angestellten um 4, die Unternehmer um 5, die Minister um 6.

Die Straße wurde neu gesehen: eigentlich war sie, besonders nachts, wie ein Zimmer. Große Schaufenster entstanden erst jetzt. Heute 2022 redet man wieder von der Möblierung der Straße, stellt z.B. gelbe Sofas mitten auf die Schadowstraße.

Die Düsseldorfer haben ein besonderes Verhältnis zur Laterne. Schließlich waren sie die "Röhrenstadt" schlechthin und Röhren brauchte man beim Gas wie beim Wasser. Pönsgen war der erste Röhrenbauer Deutschlands, Mannesmann mit sensationellen Erfindungen der Wichtigste. Sein Name ist gleichbedeutend mit Düsseldorf.

Altes Brauchtum für Groß und Klein

Wir waren alle Kinder. Das nächtliche Laternenmeer an Sankt Martin war ein einschneidendes Erlebnis.

"Ich geh mit meiner Laterne und meine Laterne mit mir,
dort oben da leuchten die Sterne, hier unten da leuchten wir.

Mein Licht ist aus, wir gehn nach Haus,
rabimmel rabammel rabumm.
Mein Licht ist aus, wir gehn nach Haus,
rabimmel rabammel rabumm".


Autor: Dieter Jaeger  |  Redaktion: Bruno Reble  |  (c) Geschichtswerkstatt Düsseldorf 2022