Mittwoch, 15. März 2023

Äij-Kju (AQ) - wie Andreasquartier

Das Statthalter-Palais – einstmals und heute

Wir gingen ins Gericht vom Hof hinein, düstere Kellerflure, "Vorsicht Rattengift " auf gelben Tafeln, Eisentüren, die krachend schlossen. Und dann das Objekt der Begierde: die "Residenz". Sie steht in einem winzigen Lichthof unter freiem Himmel. Die Tür ist geschlossen. Wir klettern durch das Fenster. Am Boden :Moos, Matsch, Taubendreck, Glättegefahr. Das war 2008

"Treten Sie ein und schauen Sie ein stilles Stück altes Düsseldorf"
hatte es an der Tür in der Neubrück Straße geheißen, aber man konnte nicht eintreten, auch nicht mit Bestechung des Hausmeisters. Da half nur der illegale Zugang durch den Keller. Die Residenz, das "Statthalterpalais", ist das Herzstück vom Andreas Quartier, heute (hoffentlich) ohne Moos und Taubendreck.

Zu sehen war 2008 allerdings nur das Portal des Gebäudes, das 1912 niedergelegt wurde wegen eines Justizneubaus. Im Giebel glänzte der vergoldete Hut des Kurfürsten Carl Theodor mit dem Hubertusorden; auf zwei Jagdpferden die Initialen CT und EA, wie so oft im Schloss Benrath. Die Gemahlin Elisabeth Augusta war eher durch die Jagd auf stattliche junge Männer bekannt geworden. Die vergoldete Jahreszahl 1766 (erbaut von Hofbaumeister Ignaz Kees) markiert den Beginn und das Vorbild der klassizistischen Bauten in Düsseldorf.

Ich berühre den eisernen Knauf der Tür und schließe die Augen. Wie viele Berühmtheiten waren hier durchgegangen? Zunächst der Hausbesitzer Graf Goltstein (1717-1779) Statthalter für Carl Theodor. Als Finanzminister war er federführend für den Hofgarten und vieles mehr.

Napoleon, der berühmteste Besucher, lässt in diesem Haus 1806 die Übergabe von Jülich Berg an den halbfranzösischen Staat "Grand Duché de Berg" verhandeln, mit Joachim Murat an der Spitze.

In der Preußenzeit ab 1815 sitzt hier der Generalgouverneur. Das Haus wird zum Sitz der königlichen Regierung. Im Lichthof, an der Gartenfront ist das Portal der Residenz angebracht. Seit 1965 erzählen hier zwei Vignetten die Geschichte des Vorgängerbaus von 1695: die Residenz, die aus dem alten Komödienhaus umgebaute Hofoper von Jan Wellem. Sein Staatssekretär Georgio Rapparini hatte ihn in einer berühmten Schrift geehrt. Auszüge und Bild aus dieser Schrift befinden sich in den zwei Vignetten. Es sind die einzigen Zeugen dieser großartigen Oper, einer der berühmtesten ihrer Zeit. Sie bot Platz für 350 Zuschauer und besaß ein vortreffliches Orchester, das später den Grundstock der weltberühmten Mannheimer Musik bilden wird.

Der lateinische Rapparini Text in den Vignetten lautet: "Während der Soldat Länder verwüstet, bereitet der Fürst Frieden". Das war schönfärberisch auf Jan Wellem und Carl Theodor gemünzt.

Unvergesslich: das Händel-Oratorium beim Altstadtherbst im Foyer des Gerichtsgebäudes. Hoch oben auf einem Podest sang ein Knabe mit heller Stimme. Händel selbst war 1711 hier gewesen. Damals sangen Kastraten. Er kaufte sie für seine englischen Opern in London und Dublin.

Das Statthalterpalais und sein Umfeld

Wir verlassen den Lichthof und die eingekerkerte Residenz, so wie sie noch 2008 zu sehen war.

Bis 1912 gab es hinter der alten Residenz den großen Garten des preußischen Präsidialamts aus dem 19. Jht. Die Düssel floss offen im Bogen durch diesen Garten. Man kann das alte Düsselbett heute erraten: es ist die tiefste Stelle an der Neubrückstraße am Eingang zum Parkhaus. Sie kam von der Mühle, ging zum Lieferplätzchen, wo die Düssel heute wieder offen fließt. Bei den Arbeiten 2010 stieß man auf die Tonröhren der Düssel. Man fand aber auch ältere Spuren von Brunnen, die bis ins 3.Jht. zurückgehen.

Unser Düsseldorf (noch ohne Namen) 2000 Jahre alt ?

Im Norden, jenseits der Düssel, befand sich zur Jan Wellem Zeit die Reitschule (Tummelhaus) und das große Anwesen des Freiherrn von Weich, Ratingerstr 3 bis Liefergasse 22. Daraus wird später die Armensiedlung KRIM.

Die Randbebauung des ganzen Quartiers hatte immer mit Jan Wellem zu tun. Der Pferdebeschaffer für den "Marstall" Freiherr von Weich vom Schloss Eller wurde schon erwähnt. Die Häuser an der Ratinger hatten keine Hausnamen. Sie gehörten hohen Beamten der kurfürstlichen Regierung. Namen wie „Hansens Penn“ und „Sibbe Lüüs“ waren nur Namen von Kneipen.

Die von Jan Wellem protegierten Trappisten durften hier ihre Schnupftabakdosen verkaufen. Die himmelblau gekleideten Coelestinerinnen ("Himmlische Töchter" caelum = Himmel) waren schon vom Großvater Wolfgang Wilhelm 1639 in dem Komplex angesiedelt worden. Als ihr Haus in der Franzosenzeit 1794 bombardiert wird, verlassen es die Nonnen. Das Haus wird 1804 zum Verkauf angeboten:

"Der Platz ist der Überschwemmung gar nicht ausgesetzt. Die Lage ist wegen des anschießenden Düsselbachs zu jeder Fabrikanlage äußerst vorteilhaft." Aus der Kirche der Nonnen macht Vagedes ein Wohnhaus. Dessen Fassade ist nach der Residenz das zweite uralte Relikt-(200 Jahre alt), welches bis heute erhalten ist.

Der Lieblingsorden des Hauses Neuburg, die Jesuiten, unterstützen Wolfgangs Re-Katholizierung von Düsseldorf, indem sie die halb protestantische Monheimer Schule vom Stiftsplatz zum Jesuiten-Gymnasium verlagern.

Legenden über Jan Wellem

Der alte Marstall noch aus Zeiten von Wilhelm des Reichen lag direkt an der unteren Liefergasse an der alten Brücke über die Düssel. Die Legende will, dass der angeblich treue Ehemann Jan Wellem hier sein geheimes Zimmer hatte, in dem es schon mal zu kleinen Techtelmechtel mit der Kutschertochter Maria kam.

Draußen vor dem Marstall an der Liefergasse saßen zwei Perückenmacher, die mit schauerlichen Krippenfiguren Reklame machten. Diese Darstellungen sollten mit der richtigen Tinktur entweder liebestrunken machen oder die Liebestrunkenen bedenklich stimmen.

Judith enthauptet Holofernes und Delila schneidet Samson die Haare ab. So die Krippenfiguren bei Herrn Franken. Dafür gab es beim anderen Perückenmacher, Herrn Giese, sofort ein Gegenmittel:
"Hohen und niederen Standespersonen biete ich eine Pomade, die den Haaren als auch dem Haupt insgesamt neue Kräfte erschaffen werden".

Nach dem Krieg

Nach dem 2. Weltkrieg gehörte der gesamte Bereich dem Gericht. Hässliche Anbauten führten bis zur Ratinger Straße. Man musste ganz durchgehen, um im letzten Raum Keramik Abbildungen der Retematäng-Häuser zu sehen. Bestaunen kann man sie heute am Schlösserbau "Ratinger Mauer".

2008 begann der Umbau und der Umzug des Gerichts nach Oberbilk. Das geschichtsfreie Unternehmen FRANKONIA taufte das Gebiet "Quartier André". Mit Andreas hat es wenig zu tun, aber es klang so schön. Und "quartier" war "in". FRANKONIA hatte gerade das "Quartier Central" im Derendorfer Güterbahnhof gebaut mit all den schönen französischen Namen. Aus SCHLÖSSER an der Ratinger wurde "Quartier Boheme". Zum "Quartier André“ kam auch "Mutter Ey" dazu, die nun gar nichts damit zu tun hatte.

Sei´s drum. Heute ist wieder englisch gefragt. "Mbassy" "Mash" "The Wellem" Mash the Wellem? Zerquetschen wir Jan Wellem? Lieber nicht!

Heute im Februar 2023 wird ein neues Kulinar-Programm vorgestellt. Deswegen schreiben wir diesen Text (Vorsicht: Lesezeit 4 Minuten!)

Jazz soll es geben, das muss wahnsinnig klingen im riesigen Foyer. Gerne auch "soulciety" im Keller, was immer das heißen mag.

All das und noch viel mehr im Hotel "The Wellem"

Gut so! Jan Wellem mochte Kultur, Musik und Malerei. 

Knausrige Geldgeber mochte er nicht "die allen freien Künsten Feind sind, ein Haufen Esel und Idioten, die spielen und tabachieren. Ich estimiere Künstler, wie den Chevalier de Grupello weit mehr als dergleichen Federfuchser und Plackscheißer".


Autor: Dieter Jaeger / Redaktion: Bruno Reble / © Geschichtswerkstatt Düsseldorf 2023

Zu diesem Thema s. auch Wanderungen um das Andreasquartier 2018:
www.geschichtswerkstatt-duesseldorf.de/archiv/jaeger_andreasquartier.pdf

Montag, 20. Februar 2023

Caramba Caracho Calatrava

 Die Kö erhält eine neue Krone zwischen Steinstraße und Königsstraße. Als Macher wurde ein König der Architektur auserkoren: Santiago Calatrava. Den Namen muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, auch die Kosten im Milliarden-Bereich. Nach Köbogen, Ingenhoven Tal und Le Coeur gilt der Calatrava Boulevard als das größte Projekt auf dem Düsseldorfer Pracht Boulevard.

Cafe KÖNIG hieß einstmals ein Café auf der Kö neben der Königsstraße: Marmor, Glas, Spiegel und schöne Frauen. Jeder wollte König sein im König. Die Jungs spielten mit der Rolex. Sie hatten noch kein Handy. Die Frauen spielten mit ihrer Schönheit.

Der Brauerei Leo König gehörte das Edel-Restaurant VICTORIAN, in dem 1984 Scherrer vom Hilton gleich im ersten Jahr einen Stern erkochte. Hier saßen sie im 1. Stock; Tisch 9 reserviert für Promis: „Für Gabi tun wir alles" mit Gegenüber Udo Lindenberg und Fritz Raddatz.

Der Krupp Bevollmächtigte Berthold Beitz kam jeden Tag zum Frühstück, Peter Ustinov zum Schlemmen. Die Politiker Wehner, Scheel, Rau, sie alle kamen – bis der Gerichtsvollzieher dem Spuk ein Ende setzte und einen Kuckuck an die Tür klebte.

Im Keller: die FEETWARMERS mit Klaus Doldinger; wir machten Jazz, denn Jazz war in, z.B. bei DA BRUNO auf der Graf Adolf-Straße. Die Beatles verachteten wir als englische Schlagermusik. Der Autor spielte Posaune bei den "OLDIES BOLDIES".

Als die Kö noch Kastanienallee hieß

Auch ein richtiger König war mal auf Besuch. Friedrich Wilhelm IV von Preußen soll hier im Revolutionsjahr 1848 mit Pferdeäpfeln beworfen worden sein, als er vom südlich gelegenen Bahnhof kommend mit der Kutsche zum Schloss Jägerhof fahren wollte. Später wollte man das Königshaus wieder gnädig stimmen und hat die Kastanienallee 1851 in Königsallee umbenannt; mehr bei koenigsallee-duesseldorf.de/die-koe/geschichte/

1854 kam die Königsstraße hinzu als "Querstraße" zum neu angelegten Königsplatz. Gleichzeitig plante man mit großer Sichtachse von der Kö die damals im Westen größte preußisch protestantische Kirche (88m).Der preußische Stararchitekt Carl Adolf Krüger baute 1866 gegenüber das immer noch bestehende neue Landgericht. Die "Ostländer" aus Berlin dominierten in Düsseldorf.

Für CALATRAVA müssen in der Königsstraße alle Häuser abgerissen werden, denn hier ist der Haupteingang. Der andere Eingang liegt am "Manufactum brot&butter" auf der Steinstraße.

CALATRAVA: ein Boulevard in der Luft

Das hatten wir noch nicht. Bäume, offener Himmel, "Haute Cuisine", also die "hohe Küche" ganz wörtlich genommen, wie einst im VICTORIAN. Genial ist die Idee, die Häuser an der Kö zu erhalten und das Gebäude in den unattraktiven Hinterhof zu verlegen.

An der Kö Nr.34 bis 54 entfallen zunächst die großen Namen, um später am Boulevard wieder zu kommen. Vergessen wir also vorrübergehend den Kommunikations-Jungstar Guido Boehler, die Kölner Görgens-Gruppe: die Modekette KULT – OLYMP & HADES, den Hamburger Leysiefer, den amerikanischen Kaffeeröster STARBUCKS, den schottischen Seifensieder DOUGLAS (seit 1821), den Clothing-Store CAMPUS, den italienischen Goldschmied POMMELATO und GUCCIO GUCCI aus Florenz (wer so heißt, kommt bestimmt wieder).

Es bleiben zunächst (ohne Zugang zum Boulevard) der schottische Schneider Burberry, der 1856 den Gabardine Stoff erfand (spanisch Mantel) und damit auch den Trenchcoat (trench = Schützengraben); ferner Prada (großer Name aus der Galeria Milano) und Prange-Juppen, der Schuhpalast aus Wuppertal.

Bleiben werden auch einige Fassaden aus der Kaiserzeit

Dem Denkmalschutz sei Dank! Der Block Kö Nr.34 bis 54 ist gewissermaßen das Herzstück der Allee, sozusagen der "Lustgarten". Die Familien Schumann, Bittner, Franzen, Paffrath, Hemesath und die Lichtburg: alle waren in diesem Block.

  • In der heutigen Nr.52 oder 54 wohnten 1851 für kurze Zeit die Schumanns. Hier amüsierte sich Clara über ihren Kollegen Franz Liszt, der mit großem Tam Tam auftrat. Der bescheidene Robert war ihr lieber.
  • 1867 zimmerte der Schreiner Johann Paffrath Transportkisten für die berühmte "Malerschule", sein Sohn zieht 1914 in die Kö 46: gebaut vom Meister Herrmann vom Endt.
  • Seit 1911 verkauft in der Nr.42 Hermann Franzen seine berühmten Porzellanwaren.
  • Am 29.12 2004 trauerte Düsseldorf um die Lichtburg (Nr.38 -40), eines der ältesten (seit 1910), bestimmt aber das berühmteste Kino der Stadt. Fast daneben (Nr.44) lag Otto Bittner, der 1990 an der Kö aufhörte.
  • In der Kö 48 saß Carl Hemesath, der auch die Nr.66 besaß (Tanzpalast Tabaris).

Blutsteine, Galgen und arme Sünder

Der Mörder Peter Kürten ging 1929 hier zu seiner Frau, der Serviererin, die blutige Schere noch in der Westentasche. Er ahnte nicht, dass unter seinen Füßen so viele Leichen lagen. Genau an dieser Stelle legten die Düsseldorfer 1776 ihren ersten Friedhof an (extra muros). Carl Theodor hatte die Begräbnisse im Kirchhof verboten. Das Arme-Sünder-Kreuz am Eingang des Friedhofs von 1776 kam vom Wehrhahn, wo die Verurteilten seit 1716 dreimal um den Blutstein herumgeführt wurden und ihre Sünden bereuten, bevor es am Galgen zum finalen Ende kam (mehr darüber bei Wolfgang Funken, Düsseldorfs Galgenplätze, 2022).

Der Friedhof wird zum Lustgarten

Lust ist eine schöne Metapher, auch wenn sie damals eine andere Bedeutung hatte. Zum Thema „Lust und Tod“ noch eine alte Geschichte von Heinrich Heine über seine erste große Liebe zur Tochter des Scharfrichters, das Rote Sefchen.

"Ihr Haar war rot, ganz blutrot und hing in langen Locken bis über die Schulter hinab, so dass sie es unter dem Kinn binden konnte. Das gab ihr aber das Aussehen, als habe man ihr den Hals durchschnitten, und in roten Strömen flösse daraus hervor das Blut".

Aber Heinrich Heine wäre nicht der gefeierte und scharfsinnige Schriftsteller, wenn er an dieser Stelle nicht noch einen draufgesetzt hätte. Denn er küsste sie "nicht bloß aus zärtlicher Neigung, sondern auch aus Hohn gegen die alte Gesellschaft und alle ihre Vorurteile"… mehr bei projekt-gutenberg.org/jess/heinebio/chap001.html.


Autor: Dieter Jaeger / Redaktion: Bruno Reble / © Geschichtswerkstatt Düsseldorf 2023