Samstag, 29. Juli 2023

Schätze der KUNSTAKADEMIE sind gesichert

Im Juli 2023 wurde die Kunst-Versicherung für weitere 20 Jahre neu geordnet, genau rechtzeitig, wenn die Düsseldorfer Kunst-Akademie im November ihr 250jähriges Jubiläum feiert (1773-2023) und der Kunstpalast in neuem Glanz erstrahlt.

Dabei geht es um die Versicherung von Millionen Werten. Die Sicherung kostet die Stadt 11 Mio. Das Land gibt einen Zuschuss von 240 000. Insgesamt werden 39 000 Werke versichert gegen Feuer, Wasser, Sturm und Vandalismus.

Wie wichtig eine derartige Versicherung ist, zeigt ein Vorfall aus dem Jahre 1986. Der Kunstprofessor Joseph Beuys war gerade gestorben, als ein übereifriger Hausmeister die Reste des großen Meisters beseitigte: etliche Kilo stinkendes, ranziges Butterfett, die sogenannte Fettecke. Ein Kunstwerk, so ein Beuys-Schüler, welches ihm sein Lehrmeister zu Lebzeiten angeblich als Geschenk vermacht hatte. Dieses Kunstwerk wäre nun zerstört. So gelang es dem cleveren Prozess-Hansel schließlich einen Schadensersatz von 40.000 DM zu ergattern und eine tiefschürfende Diskussion über Kunst zu entfachen, ganz im Sinne des verstorbenen Meisters.

Heute bestehen die zu versichernden Schätze der Kunstakademie großenteils aus der Sammlung "Lambert Krahe" (15 000 Zeichnungen und 22 000 Grafiken).

Es begann mit den Kurfürsten

Der Begründer der "Kunststadt Düsseldorf" Lambert Krahe wurde 1712 im Kanzleigebäude neben dem Rathaus geboren, zu einer Zeit als Jan Wellem noch leibhaftig auf hohem Ross hockte.
Krahe war Rom-Abenteurer, Maler und Sammler. 1756 wird "der treffliche Krahe" (Goethe) zum Leiter der Gemäldegalerie berufen. Diese weltberühmte Sammlung Jan Wellems mit Rubensbildern seines Großvaters Wolfgang Wilhelm war in einem Anbau des Schlosses untergebracht. Die extrem großen Rubens-Gemälde, mit Mühe nach Düsseldorf gekarrt, passten nicht in das alte Schloss hinein. Sie mussten daher zunächst im Kappuzinerkloster auf der Flingerstraße aufgestellt werden.

Krahes Vorgänger Gerhard Joseph Karsch hatte als Leiter der Galerie den ersten Katalog verfasst: "Der schlafende Cupido, wie ihm die Psiche die Gurgel abschneidet" oder "Silenius, wie er von Bacchanten ganz besoffen geführet wird". Die "Collection Électorale" wie es Pigage formulierte, natürlich in der eleganten Weltsprache Französisch.

Lambert Krahe gründet um 1762 im leeren Grupellohaus eine "Zeichenschule". Goltstein braucht das Haus und Krahe geht zur Mühlenstraße ins Obergeschoss vom Bongard-Haus (berühmter Waffenhersteller). Hier wird 1773 mit Krahe als "Direktor" die Akademie gegründet.
Kurfürst Carl Theodor folgt dem Zeitgeist. Seit der berühmten "Académie des Beaux Arts" in Paris (1648) nach dem Vorbild von Florenz (1563), wachsen überall Akademien aus dem Boden: 1725 Wien, 1735 Stockholm, 1768 London.

1773  nun auch Düsseldorf

Mit dem Ableben Carl Theodors 1799 beginnt auch der Niedergang der Akademie. Krahes Nachfolger Langer muss 1798 ins Franziskanerkloster Schulstraße. Der Lehrer Aloys Cornelius (Vater des berühmten Peter) verprügelt hier den jungen Heine.  

1805 kommt es zu einem majestätischen Geschacher. Um zu Königen von Bayern ernannt zu werden, verscherbeln die bayrischen Kurpfälzer ihren Besitz im Rheinland an Kaiser Napoleon. Kurz bevor der Deal in Kraft tritt werden die transportfähigen Teile der Jan Wellem Sammlung (ohne die Rubens-Schinken) bei Nacht und Nebel nach Süddeutschland verfrachtet. Sie können heute in München bewundert werden, in der Alten Pinakothek.  

Die Preußen kommen

Nach der Niederlage von Napoleon hätten die entwendeten Gemälde eigentlich wieder nach Düsseldorf zurück gemusst, aber die Preußen wollen ihren potentiellen Bündnispartner Bayern nicht verärgern und gründen als Wiedergutmachung 1819 die "Königliche Preußische Kunstakademie" im Schloss.
Der Düsseldorfer Peter Cornelius aus der Kurzestraße wird erster Direktor. Er gilt damals als größter Maler Deutschlands. Doch  König Ludwig von Bayern ködert ihn mit besserem Gehalt.
Schadow springt ein

Auf den ersten Weltruhm der Jan Wellem Zeit folgt der zweite Weltruhm der "Malerschule".
 "Die Völker der Welt schickten ihre Maler nach Düsseldorf". Die Schule wird die Pflanzstätte der Institute fast aller europäischen Nationen, bis hin zu den Schulen Nordamerikas, Russlands  und Australiens. Wilhelm Busch, Anselm Feuerbach, Arnold Böcklin, Caspar David Friedrich: alle aus Düsseldorf. 1875 dann der Sprung in das "Kunstschloss" auf dem Eiskellerberg.

Aber der Schwung ist dahin

"Mit fröstelndem Unbehagen betrat ich die hässlichen Räume der Kunstakademie"  hatte Feuerbach schon 1850 gesagt.  "Wenn sie nicht alle so alt wären...".  Um 1900 heißt es "Kunstrumpelkammer", "Versorgungsanstalt für Professoren" und in einer Anzeige: "50 Pfennig Eintritt, um die Reste zu sehen".
Und man hatte immer noch keine Stätte für Ausstellungen. Die "Kunsthalle" von 1881 war ein Provisorium. Heute steht sie, im Brutalismus gebaut (frz. beton brut = Rohbeton) ein Paar Meter weiter auf der Mühlenstraße.

1898 gründet sich der "Verein zur Veranstaltung für Kunstausstellungen". Der fleißige Akademiechef Fritz Roeber verbindet Kunst mit Industrie. Jetzt heißt es bei den Ausstellungen immer "Gewerbe und Kunst". 1902 dann im sumpfigen Inselbereich von Golzheim die erste große "Industrie und Gewerbe Ausstellung", verbunden mit einer Ausstellung für Kunst. Die  "Rheinufer-Vorschiebung 1899" mit dem Gewinn der Golzheimer Insel hatte es möglich gemacht.

Der "Kunstpalast" war das Herzstück der Ausstellung. Die Kantine bleibt von 1902 an der Ecke Inselstraße übrig und 1926 der Name "Kunstpalast" im Ehrenhofkomplex  des Machers Wilhelm Kreis.
Düsseldorf hat einen Ort für Kunstausstellungen. Da sind sie nun: die großen Schätze der Akademie.
"Von hier aus", nennt Kasper König 1984 seine Ausstellung und 1988 noch einmal:

"Kunst kommt aus Düsseldorf"

Im November 2023 können wir im Kunstpalast alles bewundern, auch den Anfang: die "Sammlung Lambert Krahe".
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Autor: Dieter Jaeger  -  Redaktion: Bruno Reble  -  © Geschichtswerkstatt Düsseldorf 2023

mehr zur Gemäldegalerie  de.wikipedia.org/wiki/Gemäldegalerie_Düsseldorf

und zur Kunstakademie www.kunstakademie-duesseldorf.de/


Mittwoch, 14. Juni 2023

Wie Neander ins Neandertal kam

Gar nicht so einfach. Es gab keine Grafenberger Allee, keine Bergische Landstraße und schon gar keine Mettmanner- oder Talstraße im engen Düsseltal, wo wir heute bequem zum Neanderthal Museum fahren.

WIE ALLES ANGEFANGEN HAT

Joachim Neander wurde 1650 in Bremen geboren und stammte aus einer norddeutschen Pastoren-Familie. Sie hieß ursprünglich Neumann. Man hatte jedoch – einer damaligen Mode folgend – den Familiennamen ins Griechische übersetzt und sich in Neander umbenannt. Auf diese Weise kam 1674 ein junger Lateinlehrer namens Neander nach Düsseldorf. Er wurde Rektor an der Lateinschule der reformierten Gemeinde und bekam eine Stelle als Hilfsprediger. 1678 verließ er Düsseldorf im Streit mit dem Presbyterium und starb 30jährig in seiner Geburtsstadt Bremen;
mehr bei
de.wikipedia.org/wiki/Joachim_Neander

Die Lateinschule stand auf dem Grundstück in der Düsseldorfer Altstadt, auf dem 7 Jahre nach dem Tod Neanders die Neanderkirche gebaut wurde.

Der Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm war anfangs noch tolerant, denn seine Gemahlin war protestantisch. Im Alter wurde er strenger und untersagte den evangelischen Gottesdienst. Sein Sohn, der spätere Kurfürst Philipp Wilhelm, verfestigte die Intoleranz. Seine Frau war eine katholische Polin. Erst unter Jan Wellem konnten reformierte Kirchen gebaut werden, allerdings nur versteckt im Hinterhof.

Aber da war Neander schon tot. Sein Wirken hatte im Geheimen stattgefunden. Aber sein Lied ging um die Welt: "Lobe den Herrn, den mächtigen König der Ehren".

DAS NEANDERTAL

Neander unternahm mit Freunden große Wanderungen, unter anderen ins nahe "Gesteins". Dieses wilde Gebirge, 15 km neben dem flachen Düsseldorf, muss auf ihn und alle anderen einen großen Eindruck gemacht haben. 150 Jahre später werden es die Künstler der Düsseldorfer Malerschule berühmt machen.

Neander hat dort keine Predigten gehalten, das ist wohl eine Mär. Aber er muss dort gewesen sein, sonst wären die vielen Namen (Neanderhöhle, Predigtstuhl, Kanzel), die später entstanden sind, nicht möglich.

Von Neander stammt auch das Lied "Gott die Luft erschallt (...) Berge Fels und Klippen" mit dem Hinweis: "im Bergischen Land in dem Gesteins nicht weit von Düsseldorff".

Erich Philipp Ploennies, der erste Geograph des Herzogtums Berg erwähnt 1715 das Gesteins: "zwischen dem Feldhoff und Hof Karstein ist das so genannte Gestein gelegen".

1788 schreibt der Maler Gerard van Nijmegen: "die Felsen von Mettmann 3 Stunden außerhalb von Düsseldorf (...) himmelhohe Felsen, Wasserfälle, wie es in Deutschland keine mehr gibt (...) um Kalk zu brennen, wurde ein Kalkofen gebaut nahe dem Felsen".

1791 schließlich Friedrich Leopold Graf zu Stolberg: " ungeheure wilde Felsmasse, überhangende Klippe, wo man sich legte, um in den Abgrund zu sehen" und "von den andern gehalten ward".

1802 spricht der berühmte Justus Gruner zum ersten Mal von "Neander, von dem dieses Tal den Namen trägt".

Der Rummel war schon da, auch vor der Malerschule, aber diese berühmten Künstler haben das Tal schließlich weltberühmt gemacht.

DIE ENTSTEHUNG DES GESTEINS

Warum befindet sich neben dem flachen Düsseldorf ein Gestein, das so anders ist, so wild und das in einem Bergischen Land, das eher sanft aufsteigt und oben gar nicht mehr den Eindruck eines Gebirges hervorruft?

·      Im Devon (vor 410 bis 360 Millionen Jahren) wird Europa von einem Flachmeer bedeckt. Die Geologen nennen es Thetis. Wir lagen am Nordrand des Meeres. Unser Düsseldorf und mit ihm die Thetis schwamm am Äquator. Es war heiß und die ersten Pflanzen wagten vom Flachmeer aus den Sprung auf den Kontinent. An den Rändern des Meeres bildeten sich Riffkalke. Das sind Stein-Korallen, also ortsgebundene Meerestiere im flachen warmen Wasser, die Kalk ausscheiden. Dieser Kalk kann zum mehrere hundert Meter dicken Kalkstein werden. Das Riff ging von Neandertal, Wülfrath-Dornap, Wuppertal bis Iserlohn. Tone und Sande bedecken später den Kalk und werden zum Schiefergebirge.

·      Im Karbon (vor etwa 360 Millionen Jahren) entstehen unsere Mittel-Gebirge von alpiner Höhe bis auf Meeresniveau; mehr bei de.wikipedia.org/wiki/Karbon

·      Als im Tertiär (vor 30 bis 2 Millionen Jahren) das Gebiet wieder hochgedrückt wird, bleibt oben die Fläche des abgetragenen Gebirges erhalten. Wir glauben bei Mettmann nicht, dass wir im Mittelgebirge sind. So flach ist es hier. Es zerbröckelt allerdings in die Teile des Rheinischen Schiefergebirges (Eifel, Taunus, usw.). Im Süden Deutschlands tauchen die Alpen auf. Bei uns sackt die Niederrheinische Bucht ab; mehr bei de.wikipedia.org/wiki/Gebirgsbildung

·      Im Quartär (2 Mio. Jahre bis heute) geschehen die letzten Formierungen: Die Terrassen des Rheins, das Hervortreten der Kalklandschaft und ihre Zerschneidung durch die Düssel. Die Düssel pendelte vor ca. 300 000 Jahren auf dem flachen Block des Schiefergebirges und behält dann ihre Pendelform bei.

ES KLAPPERT DIE MÜHLE AM RAUSCHENDEN BACH

Zehn Mühlen waren an der Düssel in Betrieb von der Quelle bis zur Einmündung des Mettmanner Bachs. Etwa 20 kleine Bäche füttern die Düssel. Direkt vor dem Eingang in die Klamm lag seit 1672 die Hunsklipper Walkmühle. Hier wurden Tierhaare zu Filz zermalmt. Danach gibt es statt der vielen Bäche im Oberlauf nur noch den Mettmanner Bach und den Laubach.

Im Kalkstein gibt es keine Nebenflüsse, keine Mühlen. Das Wasser fließt unterirdisch und führt zu den typischen Formen des Karstes: Tropfsteinhöhlen, Dolinen, Wasserarmut. Die Düssel wird zur engen Klamm von nur wenigen Metern Breite.

Die Funde konnten sich erhalten, weil seit der Zeit des Neandertalers die Düssel 20m nach unten eintiefte und die damals ebenerdigen Höhlen später 20m hoch in der Steilwand lagen und so für Mensch und Natur unzugänglich waren.

Eine Miniatur Kalklandschaft, also eine Karstlandschaft, kann man ganz in der Nähe gut beobachten: im "Naturschutzgebiet Krutscheid". Es sieht aus wie eine Kriegslandschaft: Bombentrichter überall, aber es sind keine Bomben, sondern eingestürzte Kalksteindecken, weil der Boden unterhöhlt ist.

Zu den Mühlen an der oberen Düssel kommen schon früh im Mittelteil des Kalksteins die Kalköfen dazu. Kalziumkarbonat wird zu Kalziumoxid: aus Kalkstein wird Kalk. Der Kalk wird zur Düngung genutzt, zum Hausbau, dann ab 1850 im großen Maßstab zur Eisenverhüttung, weil die neue Koksfeuerung (statt Holzkohle) zur Entschwefelung Kalk braucht.

DER NEANDERTALER

1856 werden alle Höhlen zerstört und ihre Funde dadurch publik. Der Lehrer Fuhlrott interpretiert den "Bärenfund" als Knochen eines Frühmenschen. Ein Skandal, denn Darwin veröffentlicht erst 1859 sein bahn­brechendes Werk „Über die Entstehung der Arten“. Erst nach vielen Auflagen und erbittertem Widerstand werden Darwins Thesen von der Wissenschaft bestätigt. Für Fuhlrott zu spät, denn er erlebt die Bekräftigung seiner Aussagen nicht mehr.

Der Neandertaler (vor 150 000 bis 40 000 Jahren) lebte in der komplizierten Eiszeit. Er stirbt aus oder geht im Homo Sapiens auf. Er galt lange als der erste Mensch.

Doch kehren wir zurück zur Ausgangsfrage:

WIE KOMMEN WIR INS NEANDERTAL?

Joachim Neander nahm wohl um 1675 den "Flinger Steinweg" (heute: Schadowstraße) durch Flingern, vorbei am Enger Hof (Endhof) über die Zoppenbrück am Pöhlenweg bis zum Höherhof und der Dammer Mühle. An der Düssel-Brücke in Erkrath ist zunächst Schluss. Das nur wenige Meter breite Düsseltal, eine Klamm, war am Ausgang durch einen Wasserfall verschlossen.

DER WEG DER MALER

Die Maler können ab 1826 schon die Bergische Landstraße nutzen und von dieser dann kurz vor Mettmann einen Weg runter zum Eidamshaus (oder Gouffenbruch) nehmen.

Ein Führer führte dann vom Eidamshaus nach dem verschwundenen Gut Kastein und zum Laubach-Wasserfall in der Mitte des Neandertals oder über den Ort Lathan zur Walkmühle, d.h. zum Eingang ins Tal.

Die Klamm hatte ca. 10 Höhlen, die nur von oben erobert werden konnten. Die Steilwände machten den Seiteneingang unmöglich. Oft lagen zwei Höhlen gegenüber, d.h. sie waren aus einer entstanden und durch die einschneidende Düssel in zwei geteilt worden. Die Neanderhöhle lag z.B. gegenüber von der Feldhofer Kirche.

Ab 1838 entsteht hier Westdeutschlands erste Eisenbahn. Das hat nichts mit der Naturschwärmerei eines Wanderpredigers zu tun, sondern mit Elberfeld, dem Zentrum der Düsseldorfer Vorindustrie. Die Bahn ging kerzengerade von Düsseldorf nach Wuppertal. Abfahrt war am ehemaligen Bergisch-Märkischen Bahnhof (heutiger Graf Adolf Platz). Bei Gerresheim nutzt die Bahn die Düssel-Öffnung ins Bergische, muss dann aber bei Hochdahl in akrobatischer Weise auf die Höhe klimmen (und das in der Pionierzeit der Eisenbahn).

1879 kam noch die "Rheinische Bahn" dazu, so dass Erkrath heute 2 Bahnhöfe hat und das Neandertal zwischen zwei Bahnlinien liegt. Für den Fußmarsch in die enge Klamm half das damals wenig.

UND HEUTE?

"Schon wieder", murrten wir und schlurften 1950 als Schüler missmutig zum Neandertal. Für uns gab es nichts Langweiligeres als Wandern. Wir belohnten uns, indem wir in eine Röhre krochen (wahrscheinlich der Laubach). Am Ende führte uns die Röhre zu einem winzigen Wasserfall. Für uns Kinder war das der Inbegriff des Neandertals.

Damals gab es noch kein richtiges Museum. Stattdessen ein Schrottplatz mit Autowracks der Wirtschafts-Wunderwelt (ausgerechnet an der ehrwürdigen Fundstelle). „Umwelt“ war ein Fremdwort. Es stand nicht gut um die Natur.

1996 wird an dieser Stelle das Neanderthal-Museum eröffnet. In einem ovalen Gebäude streifen wir heute stufenlos auf einem Rundkurs vom Eingangsbereich zur obersten Etage und erleben so die einzelnen Epochen der Menschwerdung; mehr bei de.wikipedia.org/wiki/Neanderthal_Museum

Zum Museum gehört auch ein archäologischer Garten in der Nähe der legendären Knochenfunde von 1856. Dort wird im Dezember 2022 der Höhlenblickturm eröffnet. Er gestattet (heute wie damals) "den Blick aus entsetzlicher Höhe in den Abgrund". Und wer will, den streift der Schauer der Geschichte:

WIE KAM DER NEANDERTALER INS NEANDERTAL?

Autor: Dieter Jaeger - Redaktion: Bruno Reble - © Geschichtswerkstatt Düsseldorf 2023

Sonntag, 28. Mai 2023

300 Jahre Nicolas de Pigage

"Ken, Ken", stammelte sie, "ich liebe Dich, ich liebe Dich"  "Mit einem tiefen Seufzer schlang Rosalie die Arme um den Hals des Jungen" (Thomas Mann).

Während hinter den Tapetentüren im Benrather Schloss dramatische Szenen ablaufen, surften wir Kinder 1948 in großen Pantoffeln über das glatte Parkett. Die Pantoffeln waren für uns Schloss Benrath. Später waren es Referendarprüfungen in den Seitenflügeln. Schweißnass danach in die kühle Frühlingsluft am kalten See und die Grippe war fällig.

Die Itter

Im "Schweißgraben" oder "Kappuziner-Kanal" vor dem Schloss schwitzten früher Hunderte beim Frondienst des Kurfürsten, um aus der einfachen Itter einen vernünftigen kerzengeraden Wasserzufluss für die Schlossgräben zu bauen. Dass dabei die Bauernorte Langer Weiher (= Holthausen, Itter und Himmelgeist) ohne Itter-Wasser auskommen mussten, störte die hohen Herren nicht weiter. Die Itter, von Hilden kommend, bei der Capitostraße nach Norden zum Hoxbach und nach Westen zur Cäcilienkirche abweichend, im Süden nochmals nach Himmelgeist oder Urdenbach gabelnd, mündete fortan nur noch in Urdenbach. Der große Platz in Holthausen und die Kurve in Itter erinnern ein wenig an den Urzustand.

Die erste Elisabeth

Der Fluss in Benrath hatte schon Philipp Wilhelm, den "Schwiegervater Europas" gereizt. Sein Baumeister Johann Lollio baut 1662 das erste Benrather Schloss, von dem noch die Orangerie erhalten ist. Der kleine Jan Wellem spielte an der Itter. Seiner Mutter, der mit 17 Kindern geplagten Elisabeth Amalie hatte Philipp das Schloss als Morgengabe nach der Hochzeitsnacht gewidmet.

Die zweite Elisabeth

Die zweite Elisabeth Auguste ist neben ihrem Gemahl Carl Theodor, dem weltgewandtesten aller Kurfürsten, im heutigen Schloss "CT und EA" überall präsent. Die Ehe lief nicht gut, da half auch kein Schloss. Elisabeth, hierin ähnlich der Rosalie von Thomas Mann, jagte neben Hirschen auch hübsche junge Männer. Über den Türen immer wieder erotische Puttenspielerei. Das Haus heißt schließlich "Maison de Plaisance" ("Lusthaus"). Das Wort Lust ist allerdings damals inflationär, hatte wohl eine andere Bedeutung.

Pigage (1723-1796)

Nicolas de Pigage (der Adelstitel kam später) wurde am 3. August 1723 im lothringischen Lunéville geboren. Die Stadt, in der er geboren wurde, wird später mit dem weltberühmten Frieden von Lunéville in die Geschichte eingehen. 1801 ist das Ende des alten Regimes (ancien régime), der Anfang des modernen Düsseldorf. Die fallende Stadtmauer macht Platz für die rasante Zukunft der Stadt.

Pigage hatte in Paris studiert unter Blondel, dem großen Autor von Architektur Büchern. Das Hauptwerk von Nicolas de Pigage das Benrather Schloss im Süden von Düsseldorf (erbaut 1755-73) zählt heute zu den schönsten Schlössern in Europa.

Das Schloss

"Das bescheidene "Häuschen am Weiher ist der bezückendste Betrug, den man sich denken kann“ (R.Klaphek)

  • Es sieht einstöckig aus, hat aber, wenn man alles dazu nimmt, 6 Stockwerke, 80 Zimmer, 2 Lichthöfe und 7 Treppenhäuser.
  • "Atemberaubend, wie die winzigen Nebengelasse -Bade- und Toilettenräume- die Schlafzimmer umspielen" (W.Handmann)
  • Der Bau ist durch Tunnel miteinander verbunden. In einem "Schallraum", in der Kuppel, spielten Musiker unsichtbar für das Publikum im großen Saal. Erstaunlich modern: die Ziergewässer dienten bei Hochwasser als Rückstau und im Park wurde durch einen Düker das Wasser unterirdisch zurückgeleitet.

Der Hofgarten

Nicolas de Pigage baut 1769 auch den ersten "Hofgarten", gleichzeitig auch Deutschlands ersten Garten dieser Art.

"Da, wo vor einiger Zeit Sandhügel, verfallende Gemäuer, öde Steppe den Wanderer zurückschreckte, entzückt jetzt  ein mit Geist und Geschmack angelegter Lust Hain das Auge“ (Kluge).

Strenger französischer Stil mit „patte dóie“ und gerader Allee in der Mitte, begleitet von englischen wilden Bosquets, zum Schluss ein runder Weiher, der später den Meeresgott Triton bekommt, dem ein Flusspferd das Essen wegschnappt (Jröne Jong). Der Park hatte viele barocke Figuren mit Geschichten aus der griechischen Mythologie.

Eine der barocken Figuren war Omphale, Königin von Lydien. Nicht weit weg von ihr stand Hercules, der stärkste Supermann seiner Zeit, hier allerdings erniedrigt, er strickt Gewänder für Omphale. Pigage kannte die Eheprobleme des Kurfürstenpaars. Sie war 21, er 17 Jahre alt, "Herrlein" von ihr genannt. Omphale erniedrigt Hercules, wie Elisabeth ihren Theodor.

Die Promenade

Für die Düsseldorfer wurde dieser Garten schnell zur "Pempelforter Promenade", besser noch zur "Champs Elysees" von Düsseldorf.

Die Gemäldegalerie

Die höhere Gesellschaft der Stadt liebte auch die jetzt offene Gemäldegalerie des Jan Wellem. Der Kurfürst hatte ca 1000 Kunstwerke gesammelt und dafür schließlich ein eigenes Haus gebaut. Die Galerie ist der Anfang der "Kunststadt Düsseldorf". Alle Welt besuchte die Stadt nur wegen der Galerie. Der erste Galeriedirektor Gerhard Joseph Karsch verfasste einen Katalog: "Der schlafende Cupido, wie ihm die Psyche die Gurgel abschneidet" oder "Silenius, wie er von Bacchanten ganz besoffen geführet wird". Pigage macht daraus einen eleganten Führer "La Galerie Électorale", natürlich in französischer Sprache.

Das gebrochene Herz

Auf der Pempelforter Promenade des großen Nicolas de Pigage promenierte auch Heinrich Heine:

"In frühen Tagen hatte der junge Mensch mit ganz anderen Gedanken an ebendieselben Bäume hinaufgesehen. Damals war des Knaben Herz ebenso vergnügt, wie die flatternden Tierchen, wenn sie lustig dahinsummten und sich der hübschen Welt erfreuten. Jetzt aber war sein Herz älter geworden, die kleinen Sonnenstrahlen waren darin erloschen, alle Blumen waren darin abgestorben, sogar der schöne Traum der Liebe war darin verblichen, im armen Herzen war nichts als Mut und Gram und damit ich das Schmerzlichste sage - es war mein Herz".


Autor: Dieter Jaeger / Redaktion: Bruno Reble / © Geschichtswerkstatt Düsseldorf 2023
s. auch de.wikipedia.org/wiki/Nicolas_de_Pigage

Samstag, 22. April 2023

Der Hafen - eine Brise von Weite und Abenteuer?

Schiffe sind Weltfahrende: wir stehen bei ihnen und fahren hinaus. Unser Schiff hier im Alten Hafen von Düsseldorf fährt nirgendwo hin. Es vermodert, versinkt, verschwindet. Aber nur einen Meter tief in diese schmutzige Hafenpfütze bis zum Dach des Parkhauses darunter.

Dieses Schiff ist das Totenschiff des Weltfahrers Heinrich Heine. Bei seiner 200sten Geburtstagsfeier im Jahre 1997 endet hier die gewaltige Show. Dichter, Sänger, Akrobaten hatten ein Netz über die Altstadt gespannt, um von oben die himmlischen Worte des Dichters zu senden.

Das Schiff wird zur "Matratzengruft" in Anspielung an Heines Ende in Paris an der Rue de Matignon neben dem Prachtboulevard „Champs Elysées“. Er hatte es von dort nicht weit bis zum Himmel.

Aalschokker als Wahrzeichen

Der armselige Schokker hier in Düsseldorf führt den Dichter zurück zu seiner Geburt. Der Rhein wird zum Lethefluss in eine andere Welt. Bei aller Erbärmlichkeit in diesem erbärmlichen Hafen bleibt das Boot für immer verbunden mit Heinrich Heine.

1996 springt ein junger Mann in die Baugrube und gründet den Verein "Rettet den Hafen".
Wir retten ja ständig etwas, aber geht es auch anders?

Statt teurer Immobilien kommt es am Ende zum Kompromiss: oben der Hafen, unten ein riesiges Parkhaus. Der Hafen wird ein Flop, trotz aller Romantik und trotz der Nähe zum Uerige. Die Läden vergammeln, das Ganz wird zum Penner- und Drogentreff. Aber der Hafen lohnt den historischen Rückblick, denn seine Form ist genau die des Ursprungs: Lageplan bei GOOGLE MAPS

Ein reicher Herzog macht den Anfang

1540 hatte Wilhelm der Reiche eine Zitadelle als Rückzugsort in kriegerischen Zeiten geplant. Denn die Zeiten sind alles andere als friedlich. Der Truchsessische-Krieg (1583-88) wogt auch durch das Rheinland. Und im Kampf um Geldern hatte Wilhelm sich mit einem Mächtigen angelegt, dem Kaiser.

Ein Nachfolger Wolfgang Wilhelm vollendet dann um 1620 Zitadelle und Hafen. Citadellstraße, Schulstraße und Hafenstraße entstehen. 1628 wird das "Schiffchen" gegründet. Die Düssel treibt nebenan die "Hofmühle" an. Ihr Nordarm im Mündungsdelta wird zum Hafen ausgebaggert.

Ein vorgelagertes Bollwerk entsteht. Die vier Ecken der Zitadelle bekommen 3 Bastionen. Der Adel zieht vom Norden (Ritterstraße) in den Hafen (Leerodt, Nesselrode, Diemantstein, Hompesch, Vellbrück). Aber sie zahlen, anders als die Kirche, wenigstens Steuern.

Ein Sicherheitshafen entsteht

Der Hafen war, wie alle Häfen hier am Rhein, ein rückwärts eingeschnittener Sicherheitshafen. Die Fluten des Rheins flossen an ihm vorbei, nicht hinein. Der Hafenbetrieb geschah am offenen Fluss, an der WERFT. Hier stand auch der bewunderte große Kran (1598-1863).

1814 schüttete man den Hafen zu, weil der neue Napoleonische Sicherheitshafen entstand (heute Wiese vor Kunstakademie). Nach der Zuschüttung wird der Gesamtraum zwischen Akademie-/ Schul- und Dammstraße zum Gefängnis, zum "Kaschott". An der Dammstraße sieht man bis 1986 anhand der Bordsteinkante den Eingang.

Der Aalschockker ist tot, es lebe der Aalschokker?

Eher nicht. Aber die Fischer-Zeit war grandios. Neben dem Aalfang gab es andere Wanderfische, z.B. den "Maifisch", eine Heringsart. Sie waren die Backfische der Fische, junge Lolitas, die man, weil zu jung, über „back“ zurückwarf oder in die Hammer Kappesfelder eindüngte. Zu jung, aber zart genug zum Backen, ein Leckerbissen seit 100 Jahren zum Bierchen in Düsseldorf. Die Heringsart, die im Mai zum Laichen den Rhein hinaufschwamm, wurde hier in Mengen gefangen. Maifischmärkte und Backfischessen waren die große Sause im Düsseldorf des ausgehenden 19ten Jahrhunderts.

Fischereirechte waren in Händen der Obrigkeit. Die Herren von Eller befischten den Schwarzbach, die Herren von Hardenberg die Anger. Die von Einenburg oder Landskron die Düssel. Man verkaufte die Rechte aber auch an die Bürgerschaft. Die Hammer "Raubfischer" drangen ins Kurkölnische vor. Sie behaupteten, der Rhein gehöre bis "einige Schritte vom Ufer" zu Düsseldorf.

Standfische, die das ganze Jahr den Rhein bevölkerten, waren Karpfen, Hecht und Barben. Wanderfische waren Aal, Stör, Lachs und Maifisch. Der Salm, wie wir holländisch für Lachs sagen, war der Brotfisch der Düsseldorfer, erst später der robustere Aal. Salmwippe und Aalschokker gehörten zum Düsseldorfer Stadtbild.

Die Dynastie Maassen fischte im Hammer Bereich. 30 Männer waren mit dem Fang beschäftigt, 40 weitere im Handel. In der Bergerstraße bot man russischen Kaviar und englische Austern. Sechs Männer bildeten den ersten "Plog" von Mitternacht bis Dämmerung, dann kam der zweite.

Carl, der erste Maassen, kam nach den napoleonischen Befreiungskriegen mit einer hübschen Jacqueline aus Paris nach Düsseldorf. Carl der zweite wurde Lebensretter, Carl der fünfte mit zu viel "savoir vivre" im Blut musste alles verkaufen. Sein Name auf der Bergerstraße wurde getilgt.

Spaziergang durch die Kriminal-Geschichte

Wir stehen an der Gruselecke Schulstraße 3, wo einst die Schülerbande "Das Rote U" Verbrecher jagte: von der Citadellstraße in die "Villa Jück". Wie still es hier ist.

Das war nicht immer so: 1854 zählte man an der Schulstraße an einem einzigen Sommermorgen: 8 Postwagen, 13 Droschken, 86 große Karren, 223 Hundekarren. Ein Lehrer wurde beurlaubt, weil es ihm laut ärztlicher Anweisung untersagt wurde, "sich den Anstrengungen zu unterziehen, welche das stete Geräusch auf der Straße notwendig macht". Armer Lehrer!

Im "Schiffchen" wird es schon lauter

Wir befinden uns in der Hafenstraße und schließen die Augen. Karl Blume, der Komponist aller Löns-Lieder, sang hier 1915 bei einem Fronturlaub zum ersten Mal "Grün ist die Heide".

Und schönste Erinnerungen an den Vater des Autors werden wach. Es sind die Löns-Lieder vom Jäger-Vater am Klavier mit Laura seiner Frau, die er immer Lore nannte. Er konnte eigentlich nicht singen. Das hier war die Ausnahme.

Mit Inbrunst und geschlossenen Augen sang er dann zusammen mit seiner Lore:

"Horch, wie der Tauber ruft, o Du Du Du,

und seine Taube hört ihm zu zu zu.

Was wohl die Tauben tun, o Du Du du,

wozu sind wir im Maien, wozu wozu?"

 

Autor: Dieter Jaeger  /  Redaktion: Bruno Reble  © Geschichtswerkstatt Düsseldorf 2023

Mittwoch, 15. März 2023

Äij-Kju (AQ) - wie Andreasquartier

Das Statthalter-Palais – einstmals und heute

Wir gingen ins Gericht vom Hof hinein, düstere Kellerflure, "Vorsicht Rattengift " auf gelben Tafeln, Eisentüren, die krachend schlossen. Und dann das Objekt der Begierde: die "Residenz". Sie steht in einem winzigen Lichthof unter freiem Himmel. Die Tür ist geschlossen. Wir klettern durch das Fenster. Am Boden :Moos, Matsch, Taubendreck, Glättegefahr. Das war 2008

"Treten Sie ein und schauen Sie ein stilles Stück altes Düsseldorf"
hatte es an der Tür in der Neubrück Straße geheißen, aber man konnte nicht eintreten, auch nicht mit Bestechung des Hausmeisters. Da half nur der illegale Zugang durch den Keller. Die Residenz, das "Statthalterpalais", ist das Herzstück vom Andreas Quartier, heute (hoffentlich) ohne Moos und Taubendreck.

Zu sehen war 2008 allerdings nur das Portal des Gebäudes, das 1912 niedergelegt wurde wegen eines Justizneubaus. Im Giebel glänzte der vergoldete Hut des Kurfürsten Carl Theodor mit dem Hubertusorden; auf zwei Jagdpferden die Initialen CT und EA, wie so oft im Schloss Benrath. Die Gemahlin Elisabeth Augusta war eher durch die Jagd auf stattliche junge Männer bekannt geworden. Die vergoldete Jahreszahl 1766 (erbaut von Hofbaumeister Ignaz Kees) markiert den Beginn und das Vorbild der klassizistischen Bauten in Düsseldorf.

Ich berühre den eisernen Knauf der Tür und schließe die Augen. Wie viele Berühmtheiten waren hier durchgegangen? Zunächst der Hausbesitzer Graf Goltstein (1717-1779) Statthalter für Carl Theodor. Als Finanzminister war er federführend für den Hofgarten und vieles mehr.

Napoleon, der berühmteste Besucher, lässt in diesem Haus 1806 die Übergabe von Jülich Berg an den halbfranzösischen Staat "Grand Duché de Berg" verhandeln, mit Joachim Murat an der Spitze.

In der Preußenzeit ab 1815 sitzt hier der Generalgouverneur. Das Haus wird zum Sitz der königlichen Regierung. Im Lichthof, an der Gartenfront ist das Portal der Residenz angebracht. Seit 1965 erzählen hier zwei Vignetten die Geschichte des Vorgängerbaus von 1695: die Residenz, die aus dem alten Komödienhaus umgebaute Hofoper von Jan Wellem. Sein Staatssekretär Georgio Rapparini hatte ihn in einer berühmten Schrift geehrt. Auszüge und Bild aus dieser Schrift befinden sich in den zwei Vignetten. Es sind die einzigen Zeugen dieser großartigen Oper, einer der berühmtesten ihrer Zeit. Sie bot Platz für 350 Zuschauer und besaß ein vortreffliches Orchester, das später den Grundstock der weltberühmten Mannheimer Musik bilden wird.

Der lateinische Rapparini Text in den Vignetten lautet: "Während der Soldat Länder verwüstet, bereitet der Fürst Frieden". Das war schönfärberisch auf Jan Wellem und Carl Theodor gemünzt.

Unvergesslich: das Händel-Oratorium beim Altstadtherbst im Foyer des Gerichtsgebäudes. Hoch oben auf einem Podest sang ein Knabe mit heller Stimme. Händel selbst war 1711 hier gewesen. Damals sangen Kastraten. Er kaufte sie für seine englischen Opern in London und Dublin.

Das Statthalterpalais und sein Umfeld

Wir verlassen den Lichthof und die eingekerkerte Residenz, so wie sie noch 2008 zu sehen war.

Bis 1912 gab es hinter der alten Residenz den großen Garten des preußischen Präsidialamts aus dem 19. Jht. Die Düssel floss offen im Bogen durch diesen Garten. Man kann das alte Düsselbett heute erraten: es ist die tiefste Stelle an der Neubrückstraße am Eingang zum Parkhaus. Sie kam von der Mühle, ging zum Lieferplätzchen, wo die Düssel heute wieder offen fließt. Bei den Arbeiten 2010 stieß man auf die Tonröhren der Düssel. Man fand aber auch ältere Spuren von Brunnen, die bis ins 3.Jht. zurückgehen.

Unser Düsseldorf (noch ohne Namen) 2000 Jahre alt ?

Im Norden, jenseits der Düssel, befand sich zur Jan Wellem Zeit die Reitschule (Tummelhaus) und das große Anwesen des Freiherrn von Weich, Ratingerstr 3 bis Liefergasse 22. Daraus wird später die Armensiedlung KRIM.

Die Randbebauung des ganzen Quartiers hatte immer mit Jan Wellem zu tun. Der Pferdebeschaffer für den "Marstall" Freiherr von Weich vom Schloss Eller wurde schon erwähnt. Die Häuser an der Ratinger hatten keine Hausnamen. Sie gehörten hohen Beamten der kurfürstlichen Regierung. Namen wie „Hansens Penn“ und „Sibbe Lüüs“ waren nur Namen von Kneipen.

Die von Jan Wellem protegierten Trappisten durften hier ihre Schnupftabakdosen verkaufen. Die himmelblau gekleideten Coelestinerinnen ("Himmlische Töchter" caelum = Himmel) waren schon vom Großvater Wolfgang Wilhelm 1639 in dem Komplex angesiedelt worden. Als ihr Haus in der Franzosenzeit 1794 bombardiert wird, verlassen es die Nonnen. Das Haus wird 1804 zum Verkauf angeboten:

"Der Platz ist der Überschwemmung gar nicht ausgesetzt. Die Lage ist wegen des anschießenden Düsselbachs zu jeder Fabrikanlage äußerst vorteilhaft." Aus der Kirche der Nonnen macht Vagedes ein Wohnhaus. Dessen Fassade ist nach der Residenz das zweite uralte Relikt-(200 Jahre alt), welches bis heute erhalten ist.

Der Lieblingsorden des Hauses Neuburg, die Jesuiten, unterstützen Wolfgangs Re-Katholizierung von Düsseldorf, indem sie die halb protestantische Monheimer Schule vom Stiftsplatz zum Jesuiten-Gymnasium verlagern.

Legenden über Jan Wellem

Der alte Marstall noch aus Zeiten von Wilhelm des Reichen lag direkt an der unteren Liefergasse an der alten Brücke über die Düssel. Die Legende will, dass der angeblich treue Ehemann Jan Wellem hier sein geheimes Zimmer hatte, in dem es schon mal zu kleinen Techtelmechtel mit der Kutschertochter Maria kam.

Draußen vor dem Marstall an der Liefergasse saßen zwei Perückenmacher, die mit schauerlichen Krippenfiguren Reklame machten. Diese Darstellungen sollten mit der richtigen Tinktur entweder liebestrunken machen oder die Liebestrunkenen bedenklich stimmen.

Judith enthauptet Holofernes und Delila schneidet Samson die Haare ab. So die Krippenfiguren bei Herrn Franken. Dafür gab es beim anderen Perückenmacher, Herrn Giese, sofort ein Gegenmittel:
"Hohen und niederen Standespersonen biete ich eine Pomade, die den Haaren als auch dem Haupt insgesamt neue Kräfte erschaffen werden".

Nach dem Krieg

Nach dem 2. Weltkrieg gehörte der gesamte Bereich dem Gericht. Hässliche Anbauten führten bis zur Ratinger Straße. Man musste ganz durchgehen, um im letzten Raum Keramik Abbildungen der Retematäng-Häuser zu sehen. Bestaunen kann man sie heute am Schlösserbau "Ratinger Mauer".

2008 begann der Umbau und der Umzug des Gerichts nach Oberbilk. Das geschichtsfreie Unternehmen FRANKONIA taufte das Gebiet "Quartier André". Mit Andreas hat es wenig zu tun, aber es klang so schön. Und "quartier" war "in". FRANKONIA hatte gerade das "Quartier Central" im Derendorfer Güterbahnhof gebaut mit all den schönen französischen Namen. Aus SCHLÖSSER an der Ratinger wurde "Quartier Boheme". Zum "Quartier André“ kam auch "Mutter Ey" dazu, die nun gar nichts damit zu tun hatte.

Sei´s drum. Heute ist wieder englisch gefragt. "Mbassy" "Mash" "The Wellem" Mash the Wellem? Zerquetschen wir Jan Wellem? Lieber nicht!

Heute im Februar 2023 wird ein neues Kulinar-Programm vorgestellt. Deswegen schreiben wir diesen Text (Vorsicht: Lesezeit 4 Minuten!)

Jazz soll es geben, das muss wahnsinnig klingen im riesigen Foyer. Gerne auch "soulciety" im Keller, was immer das heißen mag.

All das und noch viel mehr im Hotel "The Wellem"

Gut so! Jan Wellem mochte Kultur, Musik und Malerei. 

Knausrige Geldgeber mochte er nicht "die allen freien Künsten Feind sind, ein Haufen Esel und Idioten, die spielen und tabachieren. Ich estimiere Künstler, wie den Chevalier de Grupello weit mehr als dergleichen Federfuchser und Plackscheißer".


Autor: Dieter Jaeger / Redaktion: Bruno Reble / © Geschichtswerkstatt Düsseldorf 2023

Zu diesem Thema s. auch Wanderungen um das Andreasquartier 2018:
www.geschichtswerkstatt-duesseldorf.de/archiv/jaeger_andreasquartier.pdf

Montag, 20. Februar 2023

Caramba Caracho Calatrava

 Die Kö erhält eine neue Krone zwischen Steinstraße und Königsstraße. Als Macher wurde ein König der Architektur auserkoren: Santiago Calatrava. Den Namen muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, auch die Kosten im Milliarden-Bereich. Nach Köbogen, Ingenhoven Tal und Le Coeur gilt der Calatrava Boulevard als das größte Projekt auf dem Düsseldorfer Pracht Boulevard.

Cafe KÖNIG hieß einstmals ein Café auf der Kö neben der Königsstraße: Marmor, Glas, Spiegel und schöne Frauen. Jeder wollte König sein im König. Die Jungs spielten mit der Rolex. Sie hatten noch kein Handy. Die Frauen spielten mit ihrer Schönheit.

Der Brauerei Leo König gehörte das Edel-Restaurant VICTORIAN, in dem 1984 Scherrer vom Hilton gleich im ersten Jahr einen Stern erkochte. Hier saßen sie im 1. Stock; Tisch 9 reserviert für Promis: „Für Gabi tun wir alles" mit Gegenüber Udo Lindenberg und Fritz Raddatz.

Der Krupp Bevollmächtigte Berthold Beitz kam jeden Tag zum Frühstück, Peter Ustinov zum Schlemmen. Die Politiker Wehner, Scheel, Rau, sie alle kamen – bis der Gerichtsvollzieher dem Spuk ein Ende setzte und einen Kuckuck an die Tür klebte.

Im Keller: die FEETWARMERS mit Klaus Doldinger; wir machten Jazz, denn Jazz war in, z.B. bei DA BRUNO auf der Graf Adolf-Straße. Die Beatles verachteten wir als englische Schlagermusik. Der Autor spielte Posaune bei den "OLDIES BOLDIES".

Als die Kö noch Kastanienallee hieß

Auch ein richtiger König war mal auf Besuch. Friedrich Wilhelm IV von Preußen soll hier im Revolutionsjahr 1848 mit Pferdeäpfeln beworfen worden sein, als er vom südlich gelegenen Bahnhof kommend mit der Kutsche zum Schloss Jägerhof fahren wollte. Später wollte man das Königshaus wieder gnädig stimmen und hat die Kastanienallee 1851 in Königsallee umbenannt; mehr bei koenigsallee-duesseldorf.de/die-koe/geschichte/

1854 kam die Königsstraße hinzu als "Querstraße" zum neu angelegten Königsplatz. Gleichzeitig plante man mit großer Sichtachse von der Kö die damals im Westen größte preußisch protestantische Kirche (88m).Der preußische Stararchitekt Carl Adolf Krüger baute 1866 gegenüber das immer noch bestehende neue Landgericht. Die "Ostländer" aus Berlin dominierten in Düsseldorf.

Für CALATRAVA müssen in der Königsstraße alle Häuser abgerissen werden, denn hier ist der Haupteingang. Der andere Eingang liegt am "Manufactum brot&butter" auf der Steinstraße.

CALATRAVA: ein Boulevard in der Luft

Das hatten wir noch nicht. Bäume, offener Himmel, "Haute Cuisine", also die "hohe Küche" ganz wörtlich genommen, wie einst im VICTORIAN. Genial ist die Idee, die Häuser an der Kö zu erhalten und das Gebäude in den unattraktiven Hinterhof zu verlegen.

An der Kö Nr.34 bis 54 entfallen zunächst die großen Namen, um später am Boulevard wieder zu kommen. Vergessen wir also vorrübergehend den Kommunikations-Jungstar Guido Boehler, die Kölner Görgens-Gruppe: die Modekette KULT – OLYMP & HADES, den Hamburger Leysiefer, den amerikanischen Kaffeeröster STARBUCKS, den schottischen Seifensieder DOUGLAS (seit 1821), den Clothing-Store CAMPUS, den italienischen Goldschmied POMMELATO und GUCCIO GUCCI aus Florenz (wer so heißt, kommt bestimmt wieder).

Es bleiben zunächst (ohne Zugang zum Boulevard) der schottische Schneider Burberry, der 1856 den Gabardine Stoff erfand (spanisch Mantel) und damit auch den Trenchcoat (trench = Schützengraben); ferner Prada (großer Name aus der Galeria Milano) und Prange-Juppen, der Schuhpalast aus Wuppertal.

Bleiben werden auch einige Fassaden aus der Kaiserzeit

Dem Denkmalschutz sei Dank! Der Block Kö Nr.34 bis 54 ist gewissermaßen das Herzstück der Allee, sozusagen der "Lustgarten". Die Familien Schumann, Bittner, Franzen, Paffrath, Hemesath und die Lichtburg: alle waren in diesem Block.

  • In der heutigen Nr.52 oder 54 wohnten 1851 für kurze Zeit die Schumanns. Hier amüsierte sich Clara über ihren Kollegen Franz Liszt, der mit großem Tam Tam auftrat. Der bescheidene Robert war ihr lieber.
  • 1867 zimmerte der Schreiner Johann Paffrath Transportkisten für die berühmte "Malerschule", sein Sohn zieht 1914 in die Kö 46: gebaut vom Meister Herrmann vom Endt.
  • Seit 1911 verkauft in der Nr.42 Hermann Franzen seine berühmten Porzellanwaren.
  • Am 29.12 2004 trauerte Düsseldorf um die Lichtburg (Nr.38 -40), eines der ältesten (seit 1910), bestimmt aber das berühmteste Kino der Stadt. Fast daneben (Nr.44) lag Otto Bittner, der 1990 an der Kö aufhörte.
  • In der Kö 48 saß Carl Hemesath, der auch die Nr.66 besaß (Tanzpalast Tabaris).

Blutsteine, Galgen und arme Sünder

Der Mörder Peter Kürten ging 1929 hier zu seiner Frau, der Serviererin, die blutige Schere noch in der Westentasche. Er ahnte nicht, dass unter seinen Füßen so viele Leichen lagen. Genau an dieser Stelle legten die Düsseldorfer 1776 ihren ersten Friedhof an (extra muros). Carl Theodor hatte die Begräbnisse im Kirchhof verboten. Das Arme-Sünder-Kreuz am Eingang des Friedhofs von 1776 kam vom Wehrhahn, wo die Verurteilten seit 1716 dreimal um den Blutstein herumgeführt wurden und ihre Sünden bereuten, bevor es am Galgen zum finalen Ende kam (mehr darüber bei Wolfgang Funken, Düsseldorfs Galgenplätze, 2022).

Der Friedhof wird zum Lustgarten

Lust ist eine schöne Metapher, auch wenn sie damals eine andere Bedeutung hatte. Zum Thema „Lust und Tod“ noch eine alte Geschichte von Heinrich Heine über seine erste große Liebe zur Tochter des Scharfrichters, das Rote Sefchen.

"Ihr Haar war rot, ganz blutrot und hing in langen Locken bis über die Schulter hinab, so dass sie es unter dem Kinn binden konnte. Das gab ihr aber das Aussehen, als habe man ihr den Hals durchschnitten, und in roten Strömen flösse daraus hervor das Blut".

Aber Heinrich Heine wäre nicht der gefeierte und scharfsinnige Schriftsteller, wenn er an dieser Stelle nicht noch einen draufgesetzt hätte. Denn er küsste sie "nicht bloß aus zärtlicher Neigung, sondern auch aus Hohn gegen die alte Gesellschaft und alle ihre Vorurteile"… mehr bei projekt-gutenberg.org/jess/heinebio/chap001.html.


Autor: Dieter Jaeger / Redaktion: Bruno Reble / © Geschichtswerkstatt Düsseldorf 2023