Nach dem verheerenden Brand von Notre Dame am 15. April 2019 läuteten auf der ganzen Welt die Kirchenglocken im Gedenken an eine große Kathedrale. Auch in Düsseldorf, das gerne als „Klein-Paris“ tituliert wird, werfen wir ein trauriges Auge zurück, im Hinblick die besonderen Beziehungen zu „Groß-Paris“. Unser berühmtester Sohn Heinrich Heine wurde 1797 in der Düsseldorfer Altstadt geboren und ist 1856 im Pariser Exil gestorben. Auch die Tour de France 2017 spielt eine Rolle: Großer Start am Rhein, Grande Finale an der Seine.
Der Nullpunkt - wo alles angefangen hat
NOTRE DAME liegt auf einer Seine-Insel, der "île de la Cité" und ist die Keimzelle von Paris. Hier beginnen alle Straßen in Frankreich. Der Null-Km-Stein liegt direkt vor dem Hauptportal in eine Bronzeplatte eingelassen. Hier befindet sich das steinerne Geschichtsbuch von Frankreich, in das sich alle Epochen eingeschrieben haben.
Schon die keltischen Ureinwohner vom Stamme der Parigier hatten diese Insel als Hauptstadt genutzt und Lutetia genannt. Für die Römer unter Julius Cäsar war das Gebiet zu sumpfig und sie machten zunächst einen Bogen drum herum. Später errichteten sie hier einen Tempel, der Jupiter geweiht war.
Unter König Chlodwig aus der Dynastie der Merowinger wird im 5.Jht. die Machtzentrale des Fränkischen Reichs von der Schelde-Mündung nach Paris verlagert. Childerich, Sohn des Chlodwig, gründet hier im 6.Jht. eine größere Kirche, damals noch benannt nach dem Heiligen Stephan (St.Etienne), der erste Märtyrer der Christenheit, gesteinigt in Jerusalem.
Erst Maurice de Sully, Bischof von Paris, beginnt 1163 auf den Ruinen von St Etienne mit dem Bau einer Ecclesia Nova. Aus diversen kleineren Kapellen und einem Gewirr von Gassen entsteht eine wuchtige Groß-Kirche im romanischen Baustil, benannt nach "Unserer Lieben Frau“ (gemeint ist die Gottesmutter).
Es folgt die Gotik mit ihren prächtigen Wunderbauten. Höher, durchsichtiger, filigraner heißt die Devise. Dazu gehören glitzernde Rosettenfenster, Türmchen, Spitzen, Säulen und ein Kranz von Kapellen. Außerdem wird Notre Dame vollgepackt mit prunkvollen Altären, Kirchenschätzen und Reliquien (u.a. mit der „Dornenkrone Christi“). So werden jede Menge Pilger angelockt und Geld in die Stadt gebracht. Der Heilige Apollinaris in Düsseldorf lässt grüßen.
Notre Dame droht der Verfall
Zwar wird ab 1728 (im Zeitalter der Aufklärung) der Prunk etwas zurück gefahren. Dennoch fegt 1793 der Feuersturm der Französischen Revolution über die Kathedrale hinweg. Der Kirchenschatz wird geplündert, die überlebensgroßen Statuen der Königsgalerie demoliert, Edelmetalle und Glocken eingeschmolzen und zu Münzen oder Kanonen verarbeitet. Außerdem wird das Gotteshaus zum weltlichen Tempel erklärt. Später erfolgt die Umfunktionierung in ein Weinlager der Armee.
1802 gestattet Napoleon wieder die liturgische Nutzung der Kirche und krönt sich dort zwei Jahre später zum Kaiser. In der Julirevolution 1830 stürmen erneut Aufständische die Kirche und Heinrich Heine kolportiert dieses Ereignis mit dem Werkzeug des Poeten:
Bonaparte's Thron in Trümmer,
Der Bourbonen Stuhl zerbrochen,
Louis Philipp kaum geflüchtet —
Vive la republique! brüllt' es
Durch die Straßen an der Seine;
Auf dem Thurm der Notre Dame
Flattert wild die Tricolore,
Drunten Sturm die Glocken heulen.
Die Wende wird 1831 eingeläutet mit dem Roman „Notre Dame de Paris“. Mit diesem literarischen Meisterwerk haucht der Autor Victor Hugo [franz. ü’go] dem maroden Monument neues Leben ein, sorgt für Begeisterung und Spendenbereitschaft und gibt so den Anstoß für umfangreiche Renovierungsarbeiten.
Heinrich Heine macht sich in Paris keine neuen Freunde, als er den großen Victor Hugo als Buckligen verspottet und am Roman »Notre-Dame de Paris« die Altertümlichkeit der Dinge tadelt und abfällig von einer Rumpelkammer spricht.
Das Bilderbuch der Nation
Notre Dame ist nicht nur ein Spiegel für das Auf und Ab der französischen Geschichte und damit in Stein gemeißelte Symbolik. Die Kathedrale steht auch für die prallen Szenen, die sich vom Mittelalter bis heute rund um das Gebäude abgespielt haben. Man denke nur an die Hauptfiguren im „Glöckner von Notre Dame“: der missgestaltete Quasimodo und die schöne Esmeralda.
Denn klar ist: eine Kirche mit Platz für 10.000 Menschen ist allein mit liturgischen Dienstbarkeiten nicht ausgelastet. Hier war – günstig am Wasser gelegen - ein hochkarätiger Handelsplatz. Es herrschte Rummel und Gewühl wie auf einem Markt. Verträge wurden im Mittelalter mit einem Schwur besiegelt. Und wo lässt sich besser schwören als an einem geweihten Ort?
Außerdem war die reich bebilderte Fassade ein gigantisches Sammelsurium an Erzählungen, Geschichten, Phantasien und Schimären; sozusagen der Stoff aus dem die Träume sind. So etwas lässt man nicht verfallen.
Und so heißt es heute wie damals: Verkommen lassen? Abreißen? Notre Dame? Nie und nimmer!
Autor: Bruno Reble | nach einer Idee von Dieter Jäger | © 2019 geschichtswerkstatt-duesseldorf.de
Quellen:
1. Dichtungen von Heinrich Heine, aufrufbar über books.google.de
2. Wikipedia, die freie Enzyklopädie de.wikipedia.org/wiki/Kathedrale_Notre-Dame_de_Paris
3. Stern Nr.18 vom 25.4.2019 « Die 850-jährige Geschichte von Notre Dame »