Mittwoch, 18. August 2021

Der BACH als Gefahr

Wenn die DÜSSEL ihr Bett verlässt

Die Flutkatastrophen vom Juli 2021 haben uns alle aufgeschreckt. Dabei hat Vater Rhein hat das Hochwasser relativ unspektakulär weggesteckt. Es gab keine künstliche Überflutung des DRAAPS wie 1984: damals mussten die Keller geräumt werden, der Hammer Deich wurde durch Gegendruck entlastet.

Gefahr droht dagegen von den Nebenflüssen des Rheins: je kleiner, umso bedrohlicher, weil man sich vor ihnen nicht fürchtet. Bei uns war neben Itter, Schwarzbach, Anger vor allem die wasserreiche Düssel gefährlich und zwar in den feuchten Bruchgebieten am Rand des Grafenberger Waldes, also von Gerresheim bis Mörsenbroich. Zwei Kanäle, der Brückerbach im Süden und der Kittelbach im Norden helfen der Düssel, zu viel Regenwasser von der Stadt fernzuhalten. Im Oberlauf der Düssel bis zum Neandertal können die ca. 20 Zulaufbäche das Wasser in breiten Wiesen verteilt werden. Im Mittellauf hilft das Versickern im Kalkboden. Erkrath (hinter dem Kalk) war im Juli 2021 trotzdem verheerend heimgesucht. Neun Häuser sind nicht mehr zu halten.

Beim Austritt der Düssel ins weite Rheintal helfen mitgeführte Tone und Lehme, ihr Bett auszukitten, so dass sie schnell über das Sumpfgebiet am Gebirgsrand hinwegkommt ("Torfbruch"). Aber gerade dieses schnelle kanalisierte Fließen wurde ihr 2021 zum Verhängnis. Es gab nirgendwo ein Ausweichen, eine Straße, eine Gasleitung, nur eine Siedlung und die traf es dann.

Seit 1880 ist sehr viel gemacht worden. Kanalisation ersetzt die Müllabfuhr im offenen Fluss, aber man machte auch Fehler. Die Düssel kam fast komplett unter die Erde. Das wird heute rückgängig gemacht.

Legenden um das Neandertal

Joachim Neander (1650-1680) sang in der Bolkerstraße nicht nur "Lobet den Herren, den mächtigen  König der Ehren", sondern auch "Gott, wir rühmen Dich, Berge, Fels und Klippen..."

Er hat sie nicht entdeckt, die "Klippen" ("Hundsklipp" = elende Klippe, schlechtes Land, ein anderes Wort  für "Gesteins"), sie waren immer da, aber die frommen Namen einzelner Felsen, wie "Predigtstuhl, Kirche, Kanzel" erinnern an seine Wanderungen mit den pietistischen Freunden. Das "Gesteins" heißt fortan "Neandertal". Dem Liederdichter ist es nicht gut bekommen: er wurde von den "Reformierten" entlassen und auch in seiner Heimat Bremen nur als "Hilfsprediger" angestellt.

Wie kamen die Maler der Kunstakademie ins Neandertal?

150 Jahre später wandern die Maler gerne ins "Gesteins". Eine Touristenattraktion, aber weltberühmt war es noch nicht. Das geschieht erst 1856 mit dem Fund der Knochen im Kalksteinbruch (Schädel, Becken, Oberschenkel) und dem Befund durch den Wuppertaler Gymnasiallehrer Fuhlrott.

Von den Malern stammen die Namen Teufelskammer, Wolfsschlucht, Löwengrotte. Wie kamen sie dahin?

Die Straße Erkrath- Mettmann gab es nicht. Die erste Eisenbahn von 1838 hatte nur den Bahnhof HOCHDAHL (weit weg). Die zweite Bahn (RHEINISCHE 1879) von Gerresheim nach Mettmann bringt dann einen Bahnhof NEANDERTAL, aber der ist auch weit weg auf der Höhe.

Nein, man fuhr mit dem Pferdewagen 3 Std über die "Chaussee" (gemeint ist die "Bergische Landstraße", die ja auch "Chaussee de Berlin" genannt wurde (Ende 18.Jht gebaut, wegen Lärm 1km am Gerresheim Stift der jungen Damen vorbei) über Ludenberg, Hubbelrath bis kurz vor Mettmann, wo man einen Feldweg über Haus Laubach bis zum "Eidamshaus" nahm. Von dort übernahm der Wirt die Führung etwa einen knappen Kilometer bis zur Schlucht. Erzählt wird uns das in einem Bericht vom Maler Schirmer 1865.

Was war das GESTEINS?

Eine 500 m lange Karstlandschaft, die wegen der sich einschneidenden Düssel zu einem Wunderland bizarrer Felsen und Schluchten geworden war. Die Düssel hatte zu Beginn des Quartärs (vor 1 Million Jahren) ihre Mäanderbögen in einer flachen Hochebene geschaffen (die Rumpfscholle des Schiefergebirges). Als vor800 000 Jahren das Schiefergebirge noch einmal heftig gehoben wurde, hält der Bach mit und behält die extremen Kurven bei. Der Boden ist aber diesmal aus Kalkgestein und schafft so die außergewöhnlichen Landschaften.

Der Kalkstein war vor 380 Millionen Jahren in einem Flachmeer entstanden. Düsseldorf befand sich am Südufer des "OldRedKontinents" (Vorläufer von Euroamerika)in Nähe des Äquators. Der langsam abfallende Ozean ließ vor dem Ufer ein Saumriff entstehen, das durch Hebung und Anwachsen zum Barriere Riff wird, zu einer Grenze also, die zwischen Riff und Kontinent eine Lagune abgrenzt, wie heute das "Great Barrier Reef" vor Australien. Korallen benötigen Wärme und Licht (wir liegen am Äquator), die abgestorbenen Lebewesen ergeben nach millionenlanger Ablagerung und Pressung das Kalkgestein.

Warum erhält sich ein 380 Mill Jahre altes Gestein, wenn schon die Spuren der 15 000 Jahre alten Eiszeit verschwunden sind? Sobald Land über dem Meeresspiegel liegt, wird es abgetragen, d h. die km-dicken Schichten, die über dem Kalk lagen, also die Schichten von Karbon, Perm, Trias, Jura, Kreide und Tertiär sind abgetragen worden.

Warum hat man ab 1850 diese einmalige Wunderlandschaft zerstört?

CaCO³ - Calziumkarbonat ist eine Mischung aus Calcium, Kohlenstoff und Sauerstoff. Es ist wasserdurchlässig und wassergefährdet. Die Flüsse fließen unterirdisch, denn im Mittellauf der Düssel (= Karstgelände) gibt es keine Nebenflüsse.

Seit Urzeiten verwenden die Bauern das Gestein oder den in Kalköfen gewonnenen Branntkalk zu Dünger und Mörtel, später Eisenverhüttung und Glasherstellung. 1858 entsteht südlich in der Nähe auf der Eisenbahn-Trasse der Düsseldorf-Elberfelder Eisenbahn die Hochdahler Eisenhütte mit Raseneisenerz und Kalk.

1863 baut Heyhe neben der Dammer Mühle, in der eine Drahtfabrik arbeitete, seine Glashütte.

Er hatte hier alles, außer den Glasbläsern, den "Pustern". Die holt er sich aus dem Osten, aus Westpreußen. Sie sprechen das "Hötter Platt". (Das ist auch meine Heimatsprache – DJ Jg.1935)

Warum haben sich die Knochenfunde erhalten?

Als der Neandertaler vor 80 000 Jahren an der Düssel lebte, befanden sich die schützenden Höhlen am Talboden. Seitdem hat sich die Düssel 20m tiefer eingegraben. Die Höhlen liegen jetzt in der Mitte der steilen Felswand, unerreichbar für Tier und Mensch. Die Touristen entdeckten sie durch Löcher von oben.

Warum waren die Mühlen im Oberlauf meist in geistlicher Hand?

Man unterscheidet Wind- Wasser, Ross, Handmühlen oder Getreide, Kraut-(Schießpulver), Farbholzmühlen, technisch je nach Wasserzuleitung: ober- mittel- unterschlächtige Mühlen.

Oberschlächtige Mühlen besitzen ein Gleitschütz, durch das das Wasser von oben auf die Zellen (Behälter) gestürzt wird, das Wassergewicht beschleunigte das Rad. Weil Schütz, Dämme, Wehre, Mühlteiche kostspielig waren, gehören sie weltlichen oder geistlichen Grundherren, hier besonders Klöster, Stifte.

Wem gehört der Neandertaler?

Wenn wir Adenauer folgen möchten, so ist er "ne kölsche Jong, der sich nach Düsseldorf verirrte und dort erschlagen wurde".

Nein, er ist Erkrather Bürger und Erkrath "fährt allein". Mit diesem Slogan fuhren die Autos durch die Stadt, um gegen die Pläne der Eingemeindung von 1975 zu protestieren.

Folgen wir ein wenig der politischen Grenzgeschichte.

  1. die Grafschaft BERG (ab 1380 Herzogtum) von Duisburg bis Siegburg, rechts am Rhein (heute zum großen Teil das "Bergische Land") war die erste politische Einheit. Die Wupper war der Hauptfluss der Grafschaft.
    Düsseldorf wird die Hauptstadt, vier Städte: Wipperfürth, Lennep, Ratingen, Düsseldorf. Acht Ämter mit einem Landständetag, wo die Ritter das Sagen hatten.
  2. Großherzogtum Berg 1806 (halbfranzösisch)
    Düsseldorf ist die Hauptstadt mit vier Departements, immer nach Flüssen benannt (Rhein, Ruhr, Ems, Sieg). Das Arrondissement Düsseldorf bestand aus 6 Kantonen (Düsseldorf, Ratingen, Velbert, Mettmann, Richrath, Opladen)
  3. 1815 fallen die Rheinlande an Preußen
    1821 entsteht die Rheinprovinz mit Sitz in Koblenz
    Es gibt Regierungsbezirke, Land- und Stadtkreise, darunter den Landkreis Düsseldorf und den Landkreis Mettmann
    1824 kommen die Provinzialstände nach Düsseldorf
    starke Achse ins Tal der Wupper; die Bergische Landstraße meistbefahren von ganz Preußen
    1838: Düsseldorf-Elberfelder Eisenbahn
    1877: der Sitz vom Landkreis Mettmann geht nach Vohwinkel, denn das starke Wuppertal frisst das Umland auf mit Eingemeindung 1909
    1929 entsteht der Landkreis Düsseldorf- Mettmann, aber der Sitz ist in Düsseldorf.
    Die Kreissparkasse zieht auch dorthin und sitzt dort heute noch. Seit 1903 gab es auf der neuen Kasernenstraße das Kreishaus oder Landratshaus.

"Der Mett-Mann ist in einer Zwangsehe mit der Düssel- Frau"

so sah es Mettmann. Und durch die Ausbombung des Kreishauses bekommt 1942 wieder Mettmann den Sitz. 1975 ist dann Schluss, es gibt keinen Landkreis mehr und der Kreis Mettmann löscht den Namen Düsseldorf.

Neue Begriffe entstehen: 1958 "Zweckverband Neandertal" (aus Automüll entsteht ein modernes Museum); heute KAG (kommunale Arbeitsgemeinschaft Bergisch Land). Es ist fast wieder wie am Anfang "Grafschaft Berg".

Die Stadt Erkrath gibt es erst seit 1966. Zu wem gehört also der Neandertaler? Offiziell zu Erkrath, aber im "Verband Neandertal" geht der Vorsitz fast immer an einen Düsseldorfer.

Düsseldorf ist somit "Bürgermeister von Neandertal"


Autor: Dieter Jaeger  |  Redaktion: Bruno Reble  |  © Geschichtswerkstatt Düsseldorf 2021