Mittwoch, 14. Juni 2023

Wie Neander ins Neandertal kam

Gar nicht so einfach. Es gab keine Grafenberger Allee, keine Bergische Landstraße und schon gar keine Mettmanner- oder Talstraße im engen Düsseltal, wo wir heute bequem zum Neanderthal Museum fahren.

WIE ALLES ANGEFANGEN HAT

Joachim Neander wurde 1650 in Bremen geboren und stammte aus einer norddeutschen Pastoren-Familie. Sie hieß ursprünglich Neumann. Man hatte jedoch – einer damaligen Mode folgend – den Familiennamen ins Griechische übersetzt und sich in Neander umbenannt. Auf diese Weise kam 1674 ein junger Lateinlehrer namens Neander nach Düsseldorf. Er wurde Rektor an der Lateinschule der reformierten Gemeinde und bekam eine Stelle als Hilfsprediger. 1678 verließ er Düsseldorf im Streit mit dem Presbyterium und starb 30jährig in seiner Geburtsstadt Bremen;
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de.wikipedia.org/wiki/Joachim_Neander

Die Lateinschule stand auf dem Grundstück in der Düsseldorfer Altstadt, auf dem 7 Jahre nach dem Tod Neanders die Neanderkirche gebaut wurde.

Der Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm war anfangs noch tolerant, denn seine Gemahlin war protestantisch. Im Alter wurde er strenger und untersagte den evangelischen Gottesdienst. Sein Sohn, der spätere Kurfürst Philipp Wilhelm, verfestigte die Intoleranz. Seine Frau war eine katholische Polin. Erst unter Jan Wellem konnten reformierte Kirchen gebaut werden, allerdings nur versteckt im Hinterhof.

Aber da war Neander schon tot. Sein Wirken hatte im Geheimen stattgefunden. Aber sein Lied ging um die Welt: "Lobe den Herrn, den mächtigen König der Ehren".

DAS NEANDERTAL

Neander unternahm mit Freunden große Wanderungen, unter anderen ins nahe "Gesteins". Dieses wilde Gebirge, 15 km neben dem flachen Düsseldorf, muss auf ihn und alle anderen einen großen Eindruck gemacht haben. 150 Jahre später werden es die Künstler der Düsseldorfer Malerschule berühmt machen.

Neander hat dort keine Predigten gehalten, das ist wohl eine Mär. Aber er muss dort gewesen sein, sonst wären die vielen Namen (Neanderhöhle, Predigtstuhl, Kanzel), die später entstanden sind, nicht möglich.

Von Neander stammt auch das Lied "Gott die Luft erschallt (...) Berge Fels und Klippen" mit dem Hinweis: "im Bergischen Land in dem Gesteins nicht weit von Düsseldorff".

Erich Philipp Ploennies, der erste Geograph des Herzogtums Berg erwähnt 1715 das Gesteins: "zwischen dem Feldhoff und Hof Karstein ist das so genannte Gestein gelegen".

1788 schreibt der Maler Gerard van Nijmegen: "die Felsen von Mettmann 3 Stunden außerhalb von Düsseldorf (...) himmelhohe Felsen, Wasserfälle, wie es in Deutschland keine mehr gibt (...) um Kalk zu brennen, wurde ein Kalkofen gebaut nahe dem Felsen".

1791 schließlich Friedrich Leopold Graf zu Stolberg: " ungeheure wilde Felsmasse, überhangende Klippe, wo man sich legte, um in den Abgrund zu sehen" und "von den andern gehalten ward".

1802 spricht der berühmte Justus Gruner zum ersten Mal von "Neander, von dem dieses Tal den Namen trägt".

Der Rummel war schon da, auch vor der Malerschule, aber diese berühmten Künstler haben das Tal schließlich weltberühmt gemacht.

DIE ENTSTEHUNG DES GESTEINS

Warum befindet sich neben dem flachen Düsseldorf ein Gestein, das so anders ist, so wild und das in einem Bergischen Land, das eher sanft aufsteigt und oben gar nicht mehr den Eindruck eines Gebirges hervorruft?

·      Im Devon (vor 410 bis 360 Millionen Jahren) wird Europa von einem Flachmeer bedeckt. Die Geologen nennen es Thetis. Wir lagen am Nordrand des Meeres. Unser Düsseldorf und mit ihm die Thetis schwamm am Äquator. Es war heiß und die ersten Pflanzen wagten vom Flachmeer aus den Sprung auf den Kontinent. An den Rändern des Meeres bildeten sich Riffkalke. Das sind Stein-Korallen, also ortsgebundene Meerestiere im flachen warmen Wasser, die Kalk ausscheiden. Dieser Kalk kann zum mehrere hundert Meter dicken Kalkstein werden. Das Riff ging von Neandertal, Wülfrath-Dornap, Wuppertal bis Iserlohn. Tone und Sande bedecken später den Kalk und werden zum Schiefergebirge.

·      Im Karbon (vor etwa 360 Millionen Jahren) entstehen unsere Mittel-Gebirge von alpiner Höhe bis auf Meeresniveau; mehr bei de.wikipedia.org/wiki/Karbon

·      Als im Tertiär (vor 30 bis 2 Millionen Jahren) das Gebiet wieder hochgedrückt wird, bleibt oben die Fläche des abgetragenen Gebirges erhalten. Wir glauben bei Mettmann nicht, dass wir im Mittelgebirge sind. So flach ist es hier. Es zerbröckelt allerdings in die Teile des Rheinischen Schiefergebirges (Eifel, Taunus, usw.). Im Süden Deutschlands tauchen die Alpen auf. Bei uns sackt die Niederrheinische Bucht ab; mehr bei de.wikipedia.org/wiki/Gebirgsbildung

·      Im Quartär (2 Mio. Jahre bis heute) geschehen die letzten Formierungen: Die Terrassen des Rheins, das Hervortreten der Kalklandschaft und ihre Zerschneidung durch die Düssel. Die Düssel pendelte vor ca. 300 000 Jahren auf dem flachen Block des Schiefergebirges und behält dann ihre Pendelform bei.

ES KLAPPERT DIE MÜHLE AM RAUSCHENDEN BACH

Zehn Mühlen waren an der Düssel in Betrieb von der Quelle bis zur Einmündung des Mettmanner Bachs. Etwa 20 kleine Bäche füttern die Düssel. Direkt vor dem Eingang in die Klamm lag seit 1672 die Hunsklipper Walkmühle. Hier wurden Tierhaare zu Filz zermalmt. Danach gibt es statt der vielen Bäche im Oberlauf nur noch den Mettmanner Bach und den Laubach.

Im Kalkstein gibt es keine Nebenflüsse, keine Mühlen. Das Wasser fließt unterirdisch und führt zu den typischen Formen des Karstes: Tropfsteinhöhlen, Dolinen, Wasserarmut. Die Düssel wird zur engen Klamm von nur wenigen Metern Breite.

Die Funde konnten sich erhalten, weil seit der Zeit des Neandertalers die Düssel 20m nach unten eintiefte und die damals ebenerdigen Höhlen später 20m hoch in der Steilwand lagen und so für Mensch und Natur unzugänglich waren.

Eine Miniatur Kalklandschaft, also eine Karstlandschaft, kann man ganz in der Nähe gut beobachten: im "Naturschutzgebiet Krutscheid". Es sieht aus wie eine Kriegslandschaft: Bombentrichter überall, aber es sind keine Bomben, sondern eingestürzte Kalksteindecken, weil der Boden unterhöhlt ist.

Zu den Mühlen an der oberen Düssel kommen schon früh im Mittelteil des Kalksteins die Kalköfen dazu. Kalziumkarbonat wird zu Kalziumoxid: aus Kalkstein wird Kalk. Der Kalk wird zur Düngung genutzt, zum Hausbau, dann ab 1850 im großen Maßstab zur Eisenverhüttung, weil die neue Koksfeuerung (statt Holzkohle) zur Entschwefelung Kalk braucht.

DER NEANDERTALER

1856 werden alle Höhlen zerstört und ihre Funde dadurch publik. Der Lehrer Fuhlrott interpretiert den "Bärenfund" als Knochen eines Frühmenschen. Ein Skandal, denn Darwin veröffentlicht erst 1859 sein bahn­brechendes Werk „Über die Entstehung der Arten“. Erst nach vielen Auflagen und erbittertem Widerstand werden Darwins Thesen von der Wissenschaft bestätigt. Für Fuhlrott zu spät, denn er erlebt die Bekräftigung seiner Aussagen nicht mehr.

Der Neandertaler (vor 150 000 bis 40 000 Jahren) lebte in der komplizierten Eiszeit. Er stirbt aus oder geht im Homo Sapiens auf. Er galt lange als der erste Mensch.

Doch kehren wir zurück zur Ausgangsfrage:

WIE KOMMEN WIR INS NEANDERTAL?

Joachim Neander nahm wohl um 1675 den "Flinger Steinweg" (heute: Schadowstraße) durch Flingern, vorbei am Enger Hof (Endhof) über die Zoppenbrück am Pöhlenweg bis zum Höherhof und der Dammer Mühle. An der Düssel-Brücke in Erkrath ist zunächst Schluss. Das nur wenige Meter breite Düsseltal, eine Klamm, war am Ausgang durch einen Wasserfall verschlossen.

DER WEG DER MALER

Die Maler können ab 1826 schon die Bergische Landstraße nutzen und von dieser dann kurz vor Mettmann einen Weg runter zum Eidamshaus (oder Gouffenbruch) nehmen.

Ein Führer führte dann vom Eidamshaus nach dem verschwundenen Gut Kastein und zum Laubach-Wasserfall in der Mitte des Neandertals oder über den Ort Lathan zur Walkmühle, d.h. zum Eingang ins Tal.

Die Klamm hatte ca. 10 Höhlen, die nur von oben erobert werden konnten. Die Steilwände machten den Seiteneingang unmöglich. Oft lagen zwei Höhlen gegenüber, d.h. sie waren aus einer entstanden und durch die einschneidende Düssel in zwei geteilt worden. Die Neanderhöhle lag z.B. gegenüber von der Feldhofer Kirche.

Ab 1838 entsteht hier Westdeutschlands erste Eisenbahn. Das hat nichts mit der Naturschwärmerei eines Wanderpredigers zu tun, sondern mit Elberfeld, dem Zentrum der Düsseldorfer Vorindustrie. Die Bahn ging kerzengerade von Düsseldorf nach Wuppertal. Abfahrt war am ehemaligen Bergisch-Märkischen Bahnhof (heutiger Graf Adolf Platz). Bei Gerresheim nutzt die Bahn die Düssel-Öffnung ins Bergische, muss dann aber bei Hochdahl in akrobatischer Weise auf die Höhe klimmen (und das in der Pionierzeit der Eisenbahn).

1879 kam noch die "Rheinische Bahn" dazu, so dass Erkrath heute 2 Bahnhöfe hat und das Neandertal zwischen zwei Bahnlinien liegt. Für den Fußmarsch in die enge Klamm half das damals wenig.

UND HEUTE?

"Schon wieder", murrten wir und schlurften 1950 als Schüler missmutig zum Neandertal. Für uns gab es nichts Langweiligeres als Wandern. Wir belohnten uns, indem wir in eine Röhre krochen (wahrscheinlich der Laubach). Am Ende führte uns die Röhre zu einem winzigen Wasserfall. Für uns Kinder war das der Inbegriff des Neandertals.

Damals gab es noch kein richtiges Museum. Stattdessen ein Schrottplatz mit Autowracks der Wirtschafts-Wunderwelt (ausgerechnet an der ehrwürdigen Fundstelle). „Umwelt“ war ein Fremdwort. Es stand nicht gut um die Natur.

1996 wird an dieser Stelle das Neanderthal-Museum eröffnet. In einem ovalen Gebäude streifen wir heute stufenlos auf einem Rundkurs vom Eingangsbereich zur obersten Etage und erleben so die einzelnen Epochen der Menschwerdung; mehr bei de.wikipedia.org/wiki/Neanderthal_Museum

Zum Museum gehört auch ein archäologischer Garten in der Nähe der legendären Knochenfunde von 1856. Dort wird im Dezember 2022 der Höhlenblickturm eröffnet. Er gestattet (heute wie damals) "den Blick aus entsetzlicher Höhe in den Abgrund". Und wer will, den streift der Schauer der Geschichte:

WIE KAM DER NEANDERTALER INS NEANDERTAL?

Autor: Dieter Jaeger - Redaktion: Bruno Reble - © Geschichtswerkstatt Düsseldorf 2023