Ein alter Hase (Jahrgang 1935) erinnert sich: Das Tor zur Altstadt war für uns „Jonges“ die Berger Allee. In den siebziger Jahren starteten wir von dort unsere Touren durch die Gemeinde: von Samstagabend bis in die frühen Morgenstunden.
Die ZICKE an der Ecke Bäckerstraße ließen wir meist links liegen. Hochgestochen, "intellel", wie wir sagten. Und für Kaffee, feine Speisen und leckere Croissants (sogar besser als in Paris) hatten wir an Samstagabenden nicht viel übrig. Da wussten wir was Besseres.
Die ZICKE war einmalig
Erst später entdeckten wir den Charme dieses Bistros. Der erste Besitzer, der die sagenhafte lila Farbe anbrachte, muss ein Franzose gewesen sein oder ein frankophiler Mensch. Und er liebte das Kino und die Kunst. Bei jeder Restaurierung schrien die Fans: “Lasst die Tapete stehen!“ Fast alle meine Lieblingsfilme der Nachkriegszeit hingen da, die großen Kunstausstellungen Düsseldorfs und die Chansons von Jaques Brel und George Brassens.
Der Marmortisch in der Ecke im Hauptraum war mein Lieblingsort. Auf dem Gang zum Klo gab es Geheim-informationen meiner Freundin. Sie verblassten dort ganz langsam, so wie die Liebe verging.
Abgesang auf große Namen
Nur ein winziges Rechteck machte das aus, was man gerne als „Mythos Altstadt“ bezeichnet. Das waren Bolker-, Kurze- und Hunsrückstraße. Und genau hier ist heute die Corona-Tristesse am größten.
Die Bolkerstraße
Wegen des fehlenden Tores war die Bolker- nie eine Durchgangsstraße gewesen. Doch besonders hier entwickelte sich das bunte Leben der Stadt (nicht in der Flingerstraße).
Werfen wir einen Blick zurück in die Glanzzeiten des Amüsemangs: rechts am Eingang der vornehme Edelfisch GOSCH, der hier am schmutzigen Hauptstrom der Fußgänger mitmischen wollte. Der umtriebige Frank Engels besaß auch die KASEMATTEN und die uralte Rockkultkneipe WEISSER BÄR, die danach ENGEL hieß.
Wir bevorzugten den HÜHNERHUGO, mittlerweile gebrandmarkt als leerstehender, gegen Ratten versiegelter "Schandfleck". Die meisten von uns haben hier ihre ersten Pommes gegessen, am Brünnchen wurden die fettigen Finger gewaschen.
Mattes Schumacher war der erste mit einem „Lecker Dröpke“, so wie wir es heute kennen. Im SONNENAUFGANG auf der Citadellstr 12 braute er 1838 sein Starkbier, und zwar „stiekum“ (also heimlich) auf Latten im Keller versteckt. „Latze Stiekum“ sagen wir immer noch.
MAREDO schwamm auf der Steakwelle und geht jetzt unter. Gegenüber auf 2 Etagen der schicke SPITZ: Kaffee auf die Schnelle, später BALTHAZAR.
Geburtsstätte von Heinrich Heine
Eine Pommesbude statt des Herrn von SCHNABELEWOPSKI. Daran hätte der junge Heine seine Freude gehabt. Von hier ging man auch in die lange MATA HARI PASSAGE und sah gefährliche Frauen, die den "grünverschleierten Engländerinnen" im „Buch Le Grand“ ähnlich sahen. Auch das Café "TOM TOM" mit dem fetten Boxerhund war in der Nähe. Der alte Besitzer mit dem schwarzen Lederschlapphut hatte ganz am Ende der Passage einen Heine-Brunnen gebaut. Als alles vorbei war, gingen wir von hier durch eine Tapetentür zum Ort, wo im Hinterhof die Wiege gestanden hatte.
Die Hausbrauerei ZUM SCHLÜSSEL, aus der Gatzweiler-Dynastie, darf ihr gutes Bier nur noch "Schlüssel" nennen und ist mit 85 % Fassbier-Ausstoß ganz besonders von der Krise gebeutelt.
Das riesige OBERBAYERN war berüchtigt für Junggesellen-Abschiede. Im Keller wurde man versöhnt. Hier spielte die schwarze Jazzseele im SOULCENTER. Und man konnte sogar tanzen.
Im Nachbarhaus Nr.35 hat man die Schrift entfernt. SCHWARZER ANKER war vielleicht das wichtigste Haus der Straße. Hier entstand der "Schneider Wibbel".
DER BRANDENBURGER als Hausname für die AUBERGE weist darauf hin, wie tolerant es hier zuging. Die Straße hatte im katholischen Düsseldorf viele protestantische und jüdische Kaufleute.
Die Nordseite der Straße bis zur Mertensgasse ist im Nachkriegs-Trümmermeer einige Meter breiter geworden. Neben dem jetzt offenen Eingang zur Neanderkirche entwickelten sich nur weniger bekannte Lokale (z.B. SAUSOLITO). Früher stand hier der große ZWEIBRÜCKER HOF.
Die DATSCHA allerdings war so verrückt, wie der Besitzer, der Altstadtkönig Mattner. Wir tranken hier in weißen Kutschen aus Zarenkronen. Für Autofreaks hatte er das TÖFF TÖFF. Später tanzten die Teenies im PAM PAM.
Die Bolkerstraße entwickelt nun dichtgedrängt ihren ganzen Charme. Mattner hatte hier sein Flagschiff LORD NELSON auf 3 Etagen mit CAPTAIN’S DINNER und BORDFRISÖR. Aber der eigentliche König der Altstadt war der SPIEGEL.
Mit MADRID begann die spanische Welt des Senor Lopez, dem bald die ganze Schneider-Wibbel-Gasse gehörte: AMIGO, FLAMENCO, PICASSO, SANTIAGO. "Ay, ay, canta y no llorez" sang ich immer, wenn ich dort mit einer Gruppe ankam, dann gab es Rotwein „für umme“. Die Tapas allerdings sind in der COPA Bergerstraße erfunden worden.
MOORAS LOVERS CLUB" saß in der Ecke zur Flingerstraße, zwei Treppen hoch. Auch mit der Liebe hatte es viel zu tun. Die Wibbelgasse war die Glasgallerie des Kaufmanns Hartoch, den man in seiner Bettenabteilung mit einer hübschen Verkäuferin erwischt hatte "Komm, lassens kieke, wat dä Hartoch hätt: 10 fule Eier und ne Weit em Bett".
Das Kino hat die GOLDENE WELT verdrängt: ein Durchgang zum Marktplatz mit mehreren verspielten Kneipen. Die rote Bretterbude links hat den sagenhaften Namen PFERDESTALL, einer der Ursprünge vom WIRTSCHAFTSWUNDER.
BOLKER NEUN war der Gegenentwurf zum Spiegel: ein bisschen wie die harmlosen Beatles (aber mit dicken Schlitten) gegen die ruppigen Stones.
Die Kurze – Straße der „Armen“
Über die Mertensgasse und den Jazztempel PÖTZKE kam man zur Kurze Straße, wieder so eine abgeschlossene Passage: eine Straße der Armen, auch "Dreckkötter" genannt. Daraus wird dann "Kurze". Die Häuser waren hier mittelalterlich eng. Sie hatten den Krieg überlebt. Nur hier gab es so viele alte Gemäuer. Die Südseite wurde allerdings verbreitert.
MITZI und MÄNNEKEN PISS, am Eingang die Jugend und die Touris. Vorher hatte man sich mit Muscheln im uralten REUSCH gestärkt. Auf der Nordseite kam nun eine einmalige Phalanx berühmter Namen: GOLDEN DOOR, SMUGGLER, RIVERSIDE, SCHAUKELSTÜHLCHEN, ENGELCHEN, vielleicht am schönsten das HÄNGETISCHCHEN: Die Tische hingen von der Decke. Mary Quant hatte den Mini erfunden: die Damen auf hohen Hockern zupften vergebens am kurzen Tuch.
Die Südseite, weil neu, hatte nicht den großen Reiz: immerhin gab es Mattners ALT DÜSSELDORF" und schillernd, teuer: BATEAU IVRE.
In den 90igern war die Straße etwas vergessen. Razzien gegen eine Mini-Mafia in der alten SCHERE ( Kurze 4). Dann aber erstehen sie neu: die drei Hotspots der Teens und Twens: BABY LOVE, QSTALL und etwas weiter ANACONDA.
Die Historiker sehen im Ostteil der Straße den Ursprung der Kaffehauskultur, z.B. TANTE LAURA, wo das „Tantengedöns“ anfängt.
Hier in der frommen Andreasstraße entstand um 2010 eine unfromme Posse. Der Kultort CZIKOS war pleite, und ausgerechnet hier neben der Kirche wollte ein Ami mit COYOTE UGLY kurzbekleidete Puppen auf Tischen tanzen lassen. Aufschrei des sittsamen Engelbert Oxenfort von der TANTE ANNA: der Coyote war schon aufgemalt, aber er heulte nicht eine einzige Nacht.
Im wilden HUNSRÜCK
Um die Ecke wäre es für den Coyoten ein Leichtes gewesen. Die wenigen Querverbindungen (Mertens / Kapuziner / Hunsrück) hatten es schwer: sie wurden nicht für voll genommen, man gab sie den "Ausländern": Mertens für Bilk mit ihrem Heiligen Martin, Hunsrück für Derendorf und allerlei Fremdes, sogar das Kölsche Hänneschen-Theater mit Willy Millowitsch.
Der Hunsrück fängt an mit der Kirche und hört auf mit der unchristlichen Marianne Plum: Sie sang "Der Papst ist tot", aber das war dann doch zu viel. Hier verbrachte die Edel-Prostituierte "Nitribitt" ihre Jugend und Peter Cornelius, eigentlich keuscher Nazarener, liebte seine Italienerin (Zitat eines Zeitgenossen: "Nie sah ich einen göttlicheren Oberleib").
Eine Vielzahl von Kneipen, aber sie sind nicht so berühmt geworden wie ZINTERKLAUS und BARCELONA für das "reifere" Publikum. Alle geschlagen werden sie in dieser unwirtlichen Straße, wo das "KOM(M)ÖDCHEN" entsteht von FATTY‘S ATELIER" im MÜHLENSTEIN. Und der Nachfolger "IRISH PUB" war der Starter für die Düsseldorfer Liebe zu Irland: SUTTON, O´REILLY‘S, MULLIGAN, McLAUGHLINS, auch JULIO auf der Mühlenstraße zählt dazu.
Natürlich ist die "Altstadt" viel mehr als Kneipen und Kommerz, aber dieses war ihr Kern, der sie berühmt gemacht hat, Deutschland weit und international.
Autor: Dieter Jaeger – Redaktion: Bruno Reble – © Geschichtswerkstadt Düsseldorf 2021