Das Aschenputtel steigt aus der Asche
Flingern, ein Stiefkind der Industriezeit mausert sich, schon seit dem Ende der 70iger Jahre, aber heute in rasantem Tempo.
Nach K20 und K21 jetzt K22 ?
Auf der ORONTO Brache stand jahrelang die triste Brand Ruine des gelben Teppichmanns FRICK. 2010 dann das Einkaufszentrum B8 mit Größen wie SATURN. Das alles störte die Fangemeinde Kiefernstraße nicht sonderlich, auch wenn man vom Parkplatz in die Hinterhöfe einsehen konnte. Als Pläne vom Entwickler CUBE REAL auftauchten, neben SATURN mehrere Hotels zu bauen, stiegen die alten Rebellen wieder auf die Barrikaden. Sie gründeten einen Verein und starteten einen neuen Plan im Dreieck Werdener- / Erkrather- / Kiefernstraße.
Hier soll ein Kulturforum entstehen, eine grüne Mitte, umgeben von bezahlbaren Häusern, eine Stätte der Begegnung: Kiefernstraße 22, aber auch die gewollte Beziehung zu den Kunstsammlungen K20 (Grabbeplatz 20stes Jht.) und K21 (Ständehaus – 21stes Jht.)
Mit dem Namen Beuys als Gallionsfigur und den Grünen geht es jetzt 2020/21 wieder los. Die Erwartungen sind hoch. Der Name verpflichtet. Und ganz in der Nähe gibt es das ZAKK (gegründet 1977 auf der Fichtenstr.40), die Diskothek STAHLWERK auf der Ronsdorfer- und das Tanzhaus NRW an der Erkrather Str.
Die Ursprünge
Den Ortsteil Flingern Süd gab es früher nicht. Erst die Industrie hat ihn hervorgebracht. Auf der Kiefernstraße gibt es keine Kiefern, auf der Fichtenstraße keine Fichten, auf der Birkenstraße keine Birken. Böse Zungen sagen: große Namen (wie Goethe, Schiller, Herder) machen sich gut im gut bürgerlichen Zooviertel, Bäume und Blumen hier im Arbeiterviertel. Die verstehen eh nicht viel von Kultur. Aber das ändert sich nun. Oder man sagt: die Bäume erinnern an den großen Bilker Busch, der gerade hier, am weitesten westlich, bis zur Icklack reichte.
Steht man heute auf dem Berg Albert- /- Fichtenstraße (eigentlich kein Berg, sondern die Eisenbahnbrücke von 1863), sieht man gleich den Unterschied.
Nach dem quirligen Oberbilk, das in den letzten 30 Jahren sogar Hochhäuser hervorgebracht hat, jetzt vor uns Flingern Süd: ein zurückgebliebenes Land mit großen Leerflächen. Das uralte Flingern beginnt erst hinter dem Baumarkt und hinter dem Bahntunnel.
Auch die Werdener- Kettwiger-Straße gab es früher nicht, keine Albert- und keine Fichtenstraße. Der Berg (die Bahnbrücke) von 1863 war älter als alle Straßen. Was gab es denn um 1840?
Am Anfang war die Eisenbahn
Drei Private Eisenbahnlinien konkurrieren ab 1838 im Raum Düsseldorf.
• Die erste beginnt im Dezember 1838 als „Bergisch-Märkische“ mit dem Linienverkehr vom Bahnhof am heutigen Graf-Adolf-Platz nach Gerresheim und später bis nach Elberfeld.
• Die zweite kommt 1845 als „Cölln –Mindener“ hinzu. Ihr Bahnhof in Düsseldorf wird direkt vis-à-vis zur Konkurrenz auf der heutigen Luisenstr erbaut.
• Die dritte "Rheinische Bahn", uralt aus dem Kölner Raum, kriegt 1874 Gelüste, auch in Düsseldorf mit-zuspielen. Ihre Strecke mit dem Bahnhof Rethelstraße wird die Grenze zwischen Flingern und Flingern Süd.
Die Verbindungslinien bilden den Kern des Düsseldorfer Gleisdreiecks in Oberbilk. Im Konkurrenzkampf der drei Privatbahnen ging es heiß her, bevor 1885 die Preußische Staatsbahn dem Spuk ein Ende bereitete. Der Hauptbahnhof von 1890 wird auf einen riesigen Damm gesetzt. Das Wort "Bahnsteig" erfährt hier erneut seine Urbedeutung. Von der Eingangshalle steigt man 10m hoch auf die Bahnsteige. Der Begriff "Perron" war aber schon älter und kommt vom italienischen petrone (Stein). Mit diesem stieg man auf das Pferd, mit dem Perron auf die hohen Waggons.
Durch den Bahndamm gehen dann im Tunnel alle Straßen. Die Kölner Straße ist die letzte Tunnelstraße, dann gibt es nördlich nur noch Brücken. Interessant ist, wie die Stadt die Kreuzungen von Straße und Bahn gelöst hat. Die Grundregel lautet: 1.Der Jüngere respektiert den Älteren 2.Im Süden Tunnel, im Norden Brücken
Neue Industrie - Neues Glück
Die Industrie hatte das Gleisdreieck von 1845 genutzt. Schon in wenigen Jahren war es besetzt. Die Industrie musste in die Nachbargebiete. Als erster wohl 1861 Paul Inden, den Ernst Poensgen als Fittinghersteller für Armaturen aus der Eifel mitgebracht hatte.
Zur zweiten Industrie Generation ab 1870iger Jahre gehören Julius Schäfer Maschinenbau, Hein Lehmann Trägerfabrik, Habersang Werkzeugmaschinen nördlich der Ronsdorfer und südlich der Ronsdorfer die Eisen-Draht-Fabrik Peter Klöckner, der aus Koblenz über die Duisburger Eisenhütte nach Düsseldorf kam. Er baute, wie seinerzeit Poensgen, für seine Arbeiter 1912 die Arbeiterhäuser Ruhrtalstr, die schon 1902 Kiefernstraße heißt. Parallel zu Klöckner arbeitete noch die Marmor-Fabrik als Belgische Aktiengesellschaft (société belge anonyme).
Die riesigen Flächen von Flingern Süd werden bald ganzflächig industriell genutzt, wobei die Vereinigten Stahlwerke der Piedboeuf-Poensgen-Thyssen an der Erkrather Straße den größten Komplex besetzen. Die Ruhrtalbahn von 1866 hatte das Gaswerk hervorgebracht und damit die Städtischen Elektrizitäts-Werke, also die Stadtwerke. Von ihnen beliefert gibt es ab 1920 das Hallenbad Kettwiger Straße. Weiter nördlich, ebenfalls an der Ruhrtalbahn, entstand der Komplex Schlüterstraße (heute "Grafental").
Zwischen Hellweg und Höherweg entstehen auf den Flächen, die keiner haben wollte die Sinti/Roma Siedlungen, die Schreber-Gärten, die Sportvereine, darunter unsere geliebte "Fortuna". Die Fortunen waren sich immer ihrer Herkunft aus dem Sumpf des Flinger Broichs bewusst. Mit Lust kämpften sie anfangs mit ihrer "Fußlömmelei" gegen die feinen "Lackschuhpinkel" vom Norden, vom DSC am Zoo.
Wir erfreuen uns heute an den Brachflächen von kleineren Betrieben, wie "Thompsons Seifenpulver" (1897 an der Erkrather-), wo wir in den "Schwanenhöfen" neben gewaltigen Öfen oder bei "Hase und Igel" lecker essen können. Oder an der Ruhrtalstr, die es immer noch gibt, mit der "Bronx Bar" oder den "Clube Portugues" an der Kiefernstr, der hoffentlich nicht abgerissen wird.
"Fortuna" nannten die Flingeraner ihren Verein. So hieß eine Brotfabrik. Kein besonderer Name für eine Göttin.
Fortuna in Flingern. Auch ich fand mein Glück in Flingern.
Wir heirateten am Höherweg. Nicht an der Glitzermeile mit den polierten Blechkisten. Nein, etwas weiter, hinter der Ronsdorfer Str. Eine wilde Gegend. Rechts ein Künstlerhaus, links die Schrebergärten. Meine Frau, eine Australierin, wohnte dort, die ganze Verwandtschaft am Höherweg. Proteste von der Familie: Da wohnen „Zigeuner". Meine Frau liebte das. Bei ihr zu Hause in Canberra gab es Gärten über Gärten. Das hier war ein bisschen Australia. Sie liebte die Freiheit.
Ja, das war es: die Freiheit.
Autor: Dieter Jaeger | Redaktion: Bruno Reble | © Geschichtswerkstatt Düsseldorf 2021
Weitere Infos: Eine gute Zusammenfassung von Dieter Jaeger zur Entwicklung der Düsseldorfer Industrie findet sich im Archiv der Geschichtswerkstadt…
http://geschichtswerkstatt-duesseldorf.de/archiv/D_Industriegeschichte.pdf
Details zum Düsseldorfer Gleisdreieck bei
http://geschichtswerkstatt-duesseldorf.de/archiv/DasDdorferGleisdreieck.pdf
Die jüngere Kultur ist anschaulich beschrieben bei Hanenberg- Kranz "Kiez, Kunst und Kultur“ in Flingern, Kostprobe bei Stadtwerke D; Journal 2/2015 kostenloser Download als PDF:
https://silo.tips/download/kiez-kunst-und-kultur-flin-gern-fr-kunden-der-stadtwerke-dsseldorf-rheinufer-sta
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