Dienstag, 22. Februar 2022

Himmelgeist: Deichen oder Weichen?

 Deichbau in Düsseldorf

Die Bienen wären gerettet, aber es geht um mehr: die Himmelgeister und Itterer fürchten die Bau-Gelüste in ihrem Naturschutzgebiet : keine Bebauung auf der Jücht !!

Das Deichland in Himmelgeist und Itter ist unser größtes Naturgebiet am Rhein. Nirgendwo sonst kann man Kilometer lange Deichtouren machen.

Der Deich allerdings ist hier alt und marode (zum Teil nach 1945 mit Kriegsschutt gebaut). Die Stadt will ihn einfach ausbessern. Die Einwohner wollen einen neuen Deich, weiter im Hinterland. Dafür haben sie eine Petition eingereicht.

Die Luftlinie Hellerhof- Wittlaer ist nur 22km lang. Das Rheinufer dagegen zieht sich über 40 km dahin, vom Km-Stein 721 Urdenbach bis 759 Wittlaer. Gezählt wird ab Konstanz Rheinbrücke.

Was ist das für ein Fluss, unser Rhein ?

6 Milliarden Jahre, so alt ist unser Planet. Davon lassen sich geologische Spuren ca. 500 Millionen Jahre zurück verfolgen.

Von diesen 500 Mill sind für uns die letzten 65 interessant: die Geologen nennen sie Tertiär, also die dritte Zeit. Interessant, weil hier nach der großen Dinosaurier-Katastrophe die Säugetiere ihre höchste Zeit haben. Die Alpen entstehen als letzte große Gebirgsbildung und die Niederrheinische Bucht als Senke, die der Urrhein nutzt und nie mehr verlässt.
Geologische Details s. https://de.wikipedia.org/wiki/Rhein#Geographie

Das Quartär (die vierte Zeit) vor ca. 2,5 Mio. Jahren wird schließlich den Menschen hervorbringen. Das meiste davon ist Eiszeit (Pleistozän), der Rest seit 12000 Jahren (Holozän) ist das Jetzt.

Flüsse muss man, wie Küsten, eindeichen. Deiche in Düsseldorf können wir bis ins Mittelalter verfolgen (Kaiserswerth oder Hamm). Spannend sind immer die ältesten Verläufe und was aus ihnen geworden ist. Zunächst denkt jeder an den eigenen Schutz, und so werden zB.im 18.Jht. Deiche in Heerdt zerstört, weil sie die volle Wasserkraft auf Düsseldorf lenkten. Die völlige Eindeichung gelingt erst zu Anfang des 20. Jhts.

Einige gut bekannte Deich Beispiele

a. Hammer Flügeldeich

Er bildete vom Hammer Deichtor am Ende der Fährstraße gesehen zwei Flügel nach Nord und nach Süd.

Der Nordflügel ist der noch heute bestehende Weg "Am Sandacker", der in Richtung Lausward zunächst nur Haus Hamm schützte, dann aber die gesamte Lausinsel umgibt und 1895 mit dem schon1866 gebauten "Parallelwerk" verbunden wird. Dieser Nordflügel mit dem Parallelwerk wird dann die Rheingrenze des Hafens werden.

Der Südflügel zielt von der Fährstraße durch einen heute noch vorhandenen Weg zur Straße "Auf der Böck" und verbindet sich am Aderhof (heute Tunnel Brücken Auffahrt) mit dem Aderdamm, der bis ins 14. Jht. zurückgeht. Der heutige Aderdamm schützte die Urhöfe von Hamm (Holter, Borres: existiert noch) und verband sich, ergänzt durch das natürliche Zwischenstück: "Schwarze Berge" mit dem Stoffeler Damm. Dieser zerstörte das Dorf Stoffeln. Er geht als Hauptstraße heute durch die Städtischen Krankenanstalten und endete damals an der Scheidlingsmühle.

Durch Rückstau werden auch die Bachläufe (Brückerbach) in diesem Tiefgebiet zur Gefahr. Auch sie werden eingedeicht. Wersten West bietet so den Anblick einer Nordseesiedlung.

b. Heerdter Deichschau

Der Heerdter Deichbruch ließ die Hälfte unserer linksrheinischen "Halbinsel" versanden. Ober- und Niederkassel entstanden mit ihrem Deich, respektvoll 600 m vom Rhein entfernt. Ein genialer Trick ließ 1896 das heutige Ober- und Niederkassel entstehen. Der Deich wurde bis zum Fluss vorgezogen. Siedelland wurde gewonnen. Das Gleithangufer von Oberkassel wurde abgegraben und mit dem Material wurde die 30 m Verschiebung der Düsseldorfer Rheinuferstraße gebaut. Der Rhein konnte sich in einem sehr viel tieferen Bett austoben.

"Vossen links und rechts" waren damals die rettenden Lokale hinter dem Deich. Die Eisenbahn, die bis zum Ufer vorgedrungen war, stand oft im Hochwasser: ein abenteuerlicher Bereich mit entsprechenden Kneipen, der zur Attraktion junger bierseliger Leute wurde (fast ohne Aufsicht), denn die Polizei von Heerdt lag weit weg.

c. die Altstadt

Sie brauchte keinen Deich. Unsere Vorfahren wählten einen hohen Sporn der älteren Niederterrasse, der bis zum Fluss reichte. Auf Bildern sieht man Düsseldorf wie eine Festung hoch oben über dem Rhein. Die "Altestadt- Ratingerstraße" ist mit 40m über Normal die höchste Straße der Stadt in alter Zeit. Noch heute gehen wir auf der Neubrückstraße den Berg hinauf.

d. Himmelgeister Rheinbogen

Eine kleine Wanderung: Wir folgen "Am Broichgraben" dem verschwundenen Itterlauf, vorbei an der uralten Hubertuskirche = Ursprung des Ortes Itter,in die Ackerflächen hinein bis zum "Kölner Weg". Links an der verlorenen Itter liegt "Schloss Meierhof" gebaut auf den Resten des 1836 abgebrannten Hofes Mickeln (seit1210 beurkundet). Herzog Arenberg hatte Mickeln ein Jahr zuvor gekauft und nach dem Brand an anderer Stelle 1839 als neues "Schloss Mickeln" bauen lassen. Für dieses neue Schloss Mickeln entwirft Weyhe den Park Mickeln mit den berühmten Libanonzedern. Wir gehen den Kölner Weg, immer rechts vom maroden Deich begleitet, 2 Km bis zum Rhein, dann rechts am Fluss entlang bis Himmelgeist zurück.

An der Mündung vom alten Itterbach steht St. Nikolaus, eine unserer ältesten Kirchen (904 urkundlich erwähnt).

Nikolaus von Myra (geboren um 350 n.Chr. im türkischen Antalia) ist der Schokoladen Nikolaus unserer Kinder und der Patron der Seefahrer. Die Hanse bringt ihn entlang der Küste nach Osten (Nicolai Berlin, überall Nicolai-Kirchen). Auch der Autor wurde in Ostpreußen mit dem Weichselwasser einer Nikolai Kirche getauft.

Bei einem starken Hochwasser in den 90iger Jahren sahen wir von Uedesheim über den Rhein hinüber nach Himmelgeist. "Ja, das ist es", dachten wir. So muss Düsseldorf 1288 ausgesehen haben: ein Kirchturm, einige Häuser. "Der Rhein war jetzt ein riesiges Meer. Die Deiche hatten nicht gehalten, nur der Kirchturm ragte hervor: Nikolaus, Schutzherr der Seefahrer, auch hier am Rhein.

Die Mäander verlagerten sich früher jedes Jahr um 5 m nordwärts. Bei Hochwasser-Katastrophen wurden Dörfer, wie Niel oder Steinen, einfach fortgerissen.

Das gräuliche Eishochwasser im Februar 1784

Vom stärksten Hochwasser am Rhein seit Menschengedenken gibt es Berichte, die der fleißige Appellationsrat Th.Lenzen um 1800 gesammelt hat.

"Gegen 5 Uhr morgens weckte uns das Lärmen der Nachbarn ... in einer Stunde war das Wasser so hoch, dass wir uns nur über ein eilends gefertigtes Gestell im zweiten Stock in einem uns zugeführten Nachen retten konnten. Der Rhein hatte die Dämme bei Himmelgeist überstiegen … der Strom fiel wütend auf die Zitadelle und die neue Halle bei unserm Haus (Ecke Schulstraße). Mit Not erreichten wir die Ecke der Bergerstraße".

Nach einer Not Nacht im fremden Haus suchen sie die zerstörte Halle auf.

"Kaum erreichten wir den vor der Franziskanerkirche herlaufenden Strom, als wir von demselben in den offenen Rhein zugetrieben wurden ... an einem über dem Düsselbach gebauten Hause lief die Spitze unseres Kahns ins Seitenfenster des ersten Stockes ein ... Guter Gott, welchen Jammer sahen wir jetzt: ein in der Eismasse verwickeltes Schiff, an dessen Bord die Schiffer knieend um Hilfe schrien, hier eine Hütte, dort ein Stall, Leichen, totes Vieh, Hausgeräte, Stroh, Früchte, Holz..."

Der nasse Tod

In Theodor Storms "Schimmelreiter" reitet der Deichgraf Hauke Haien in den Tod. Der Ton mutet uns heute pathetisch an. Er zeigt die Ohnmacht des Menschen, die Gleichgültigkeit der Natur. Wir haben es erlebt, noch vor kurzer Zeit.

"Aber Sturm und Meer waren nicht barmherzig, ihr Toben verwehte seine Worte, nur seinen Mantel hatte der Sturm erfasst, es hätte ihn bald vom Pferd gerissen. Das Fuhrwerk flog ohne Aufenthalt der Stürzenden Flut entgegen. Da sah er, dass das Weib, wie gegen ihn hinauf, die Arme streckte. Hatte sie ihn erkannt? Hatte die Sehnsucht, die Todesangst um ihn sie aus dem sicheren Haus getrieben und jetzt rief sie ein letztes Wort ihm zu?

"Elke", schrie Hauke in den Sturm hinaus. Da sank aufs neu ein großes Stück des Deiches vor ihm in die Tiefe. Noch einmal sah er den Kopf des Pferdes, die Räder des Gefährts aus dem wüsten Greuel emportauchen.

"Das Ende", sprach er leise vor sich hin. Dann ritt er an den Abgrund. Er richtete sich hoch auf und stieß dem Schimmel die Sporen in die Weichen. "Vorwärts", rief er noch einmal, wie er es so oft zum festen Ritt gerufen hatte.

"Herr Gott, nimm mich, verschon die anderen!"


Autor: Dieter Jaeger | Redaktion: Bruno Reble | © 2022 www.geschichtswerkstatt-duesseldorf.de

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